DER TAPFERE RITTERSSOHN

Es war einmal ein Ritter, der hatte drei Söhne, von denen er viel Freude zu erleben hoffte. Als der älteste davon achtzehn Jahre alt war, mußte er hinaus in die weite Welt, um seinen Mut und sein Glück zu versuchen. Da ritt er nun eines Tages durch einen finstern Wald, und auf einmal kam ein furchtbares Ungeheuer auf ihn zugelaufen. Er setzte sich tapfer zur Wehr und streckte das Ungetüm mit seiner Lanze zu Boden. Dann schnitt er aus dem abscheulichen Rachen die Zunge heraus und ritt eiligst in seine Heimat zurück.

Der Ritter war vor Freude fast außer sich, als er von der Heldentat seines Sohnes hörte und die Zunge als Wahrzeichen sah. Er ließ im Schloß ein herrliches Fest veranstalten und erzählte allen Geladenen unermüdlich von dem kecken Mut seines ältesten Kindes.

Als der zweite Sohn das achtzehnte Jahr erreicht hatte, mußte auch er hinaus in die weite Welt. Er ritt eines Tages durch einen dichten Wald, da kam ein furchtbares Untier auf ihn losgerannt und machte Miene, ihn samt seinem Roß zu verschlingen. Er aber verlor seine Besinnung nicht, wehrte sich tapfer, und als er das Ungetüm erlegt hatte, schnitt er aus dem Rachen die Zunge heraus und brachte sie als Wahrzeichen nach Hause. Der alte Ritter hatte wieder eine unermeßliche Freude, ließ sich die kecke Tat drei- und viermal erzählen und versammelte dann wieder seine Nachbarn zu einem glänzenden Fest. Ja - diesmal war die Festlichkeit noch weit größer als bei der Rückkehr des ersten Sohnes.

Der Jüngste von den dreien war ein überaus kecker Jüngling und erwartete es nicht bis zu seinem achtzehnten Geburtstag. Schon im siebzehnten Jahr machte er sich auf und zog mutig in die weite Welt hinaus. Bald begegnete ihm in einem Wald ein Ungeheuer, das nicht viel schöner aussah als jene, welche seine Brüder erlegt hatten. Er machte dem Untier mit einer Lanze den Garaus, aber das wollte ihm nur ein Spaß scheinen, und er ritt wieder vorwärts. Aber bald kam's ärger. Der Wald, in dem er sich befand, war sehr dunkel, und es hielten sich gerne Räuber dort auf. Auf einmal brach eine ganze Rotte aus dem Dickicht hervor und hielt den Ritterssohn an. Dieser fragte nicht lange "Was?" und "Warum?", sondern schoß schnell einen Pfeil ab und traf einen Räuber, zwei traf er mit dem Schwert, zwei mit der Lanze. So waren fünf Räuber gefallen, die übrigen aber hatten vom Zuschauen genug und liefen davon, als ob sie der Wind weggeblasen hätte. Der Ritterssohn dachte noch nicht ans Heimgehen, sondern ließ seinen Gaul vorwärtstraben, als ob nichts geschehen wäre.

Bald sah er vor sich eine Höhle, darin saßen drei Riesen, und jeder von ihnen hielt ein gutes Stück Braten in den Händen und nagte daran. Da ließ der Mutwille dem jungen Ritter keine Ruhe, bis er nicht seinen Bogen anlegte, um sich einen Spaß zu machen. Der Pfeil flog weg und - husch - mit ihm das Stück Braten vom Mund eines Riesen. Zornig sprang der Riese auf und brüllte mit fürchterlicher Stimme in den Wald hinein: "Wer hat mir meinen Braten weggeschossen?" Endlich sah er einen Jüngling mit Bogen und Köcher rasch auf die Höhle losgehen.

"Hast du mir meinen Braten weggeschossen?"

"Ja, ich hab's getan."

"Wer hat dir's erlaubt?"

Der Jüngling lachte über diese Frage, und es setzte nun einen kurzen Streit zwischen ihm und dem Riesen ab. Aber bald war wieder Frieden gemacht, denn "mit diesem", raunten sich die Riesen ins Ohr, "ist nicht gut Nüsse knacken."

"Gerade recht, daß Ihr da seid", sagte einer von den dreien. "Ihr könntet uns mit Eurer Kunst einen kleinen Gefallen tun. Da drüben, jenseits des Waldes, ist ein großes Schloß; darin wohnt eine wunderschöne Königstochter. Die hätten wir lange schon in unsere Gewalt gebracht, wenn nicht der Schloßhund allemal, sooft wir den Mauern nahe kamen, einen so furchtbaren Lärm gemacht hätte, daß das ganze Schloß zusammenlief, um zu sehen, was es gäbe."

"Dem Hund will ich das Bellen schon austreiben", fiel der Ritterssohn ein.

"Nur nicht so voreilig", meinte der Riese, "das ist nicht so leicht, wie einen Braten vom Mund wegschießen."

"Was schert mich ein Hund?" erwiderte rasch der Ritterssohn, "hab ich ja schon einem ärgeren Untier den Garaus gemacht. Könnt Euch drauf verlassen, morgen legt euch der Schloßhund nichts mehr in den Weg."

Richtig! Am folgenden Tag abends rührte sich der Hund nimmer, und die drei Riesen hoben ihre langen Füße rüstig auf und liefen dem Schloß zu. Dem Ritterssohn tropfte auf allen Seiten der Schweiß herab, denn er wollte auch nicht der letzte sein.

Als alle vier vor dem Schloß standen und an der Mauer herumsuchten, da fanden sie ein nicht sehr großes Loch, und es war beschlossen, daß der Ritterssohn, weil er der Kleinste war, zuerst hineinschlüpfen sollte. Als er drinnen war, steckte der erste Riese den Kopf durch das Loch und wollte hineinkriechen. Als aber der große Kopf jenseits der Mauer zu sehen war, zog der Ritterssohn sein Schwert und schlug ihn mit einem Streich ab. Den ungeschlachten Leichnam zog er herein, so daß die zwei ändern Riesen nichts anders meinten, als ihr Geselle spaziere nun im Schloß herum. Der zweite Riese wollte nun nachfolgen, aber es ging ihm nicht besser als dem ersten. Nun war der dritte noch allein übrig und wollte seinen Kameraden folgen. Als sein Kopf hinter der Mauer und die Beine noch draußen waren, ging es ihm ebenso wie seinen Gesellen.

Nun schlich der Ritterssohn durch die Gänge und Säle des Schlosses, schaute sich alles genau an und kam endlich in das Gemach der Königstochter. Hier mußte er fast die Hand vor die Augen halten, so sehr glitzerte es-von Gold und Edelsteinen und Geschmeide aller Art, das auf Tischen und Kästen herumlag. Er steckte schnell einen königlichen Schmuck und allerlei Kostbarkeiten zu sich und suchte dann, so schnell er nur konnte, ins Freie zu kommen. Bevor er zum Loch hinauskroch, schaute er noch die drei toten Riesen an. Nun habe ich ein schönes Stück Arbeit getan, dachte er sich, und kann mich ohne Schande in der Heimat sehen lassen.

Mit großer Eile ritt er nun nach Hause, und lauter Jubel erscholl im väterlichen Schloß, als es hieß, der jüngste Sohn sei als ein rechter, erprobter Ritter wiedergekommen. Als er aber fragte, warum sein alter Vater nicht erscheine, um ihm zum Willkomm die Hand zu drücken, da zeigte man auf die Familiengruft. Er wußte wohl, was das zu bedeuten habe, und die hellen Tränen rollten ihm über die Wangen herab.

Als man im Schloß, in dem die schöne Königstochter wohnte, die Leichen der drei Riesen gefunden hatte, wunderte man sich darüber, wer es wohl gewagt habe, die drei großen Kerle zu töten. Es wurde nun beschlossen, die Königstochter sollte ihrem Retter die Hand anbieten, und man überlegte, wie man diesen etwa ausfindig machen könnte. Da kam der Königstochter ein kluger Gedanke: Sie ließ in dem Wald, worin früher die Riesen gewohnt hatten, ein Wirtshaus bauen und unter der Tür ein Schild anbringen mit der Aufschrift: "Heute umsonst, morgen ums Geld." Statt des Bezahlens aber mußte jeder, der im Wirtshaus einkehrte, seine Lebensgeschichte erzählen. Die schöne Königstochter verkleidete sich und bediente als Kellnerin die Gäste.

Da reisten nun einmal jene drei Ritterssöhne mit ihrer Mutter durch diesen Wald und sahen das stattliche Wirtshaus. Als die Rittersfrau die Aufschrift über der Tür las, war sie ein wenig von Neugierde geplagt. Sie ließ also haltmachen und trat mit ihren drei Söhnen in die Wirtsstube. Die drei Brüder zechten nach gutem Ritterbrauch, und bald forderte die Kellnerin von den werten Gästen ihre Lebensgeschichte.

Da erzählten nun die zwei ältesten Ritterssöhne ausführlich von ihrem Abenteuer mit dem Untier und allerlei kleinen Streichen, die sie für große Heldentaten hielten. Als die Reihe an den Jüngsten gekommen war und er zu erzählen anfing, wie er in der Ritterburg da droben drei Riesen getötet und aus dem Gemach der schönen Königstochter viele Kostbarkeiten mit sich genommen habe - und als er nun das Geschmeide aus seinem Wams zog und der Kellnerin vorzeigte, da verließ diese ihre Gäste und kam erst in einer Viertelstunde wieder in die Wirtsstube. Sie hatte aber jetzt ein anderes Aussehen. Die Kellnerin stand in königlichem Schmuck vor ihren Gästen. Diamanten strahlten auf ihrem Haupt, als wollten sie mit den hellen Äuglein wetteifern, und ihr blaues Kleid glänzte von Gold und Edelsteinen wie der Himmel in einer sternenhellen Nacht. So trat sie vor den jüngsten Ritterssohn, und ihm freundlich in die Augen schauend, sagte sie: "Wisset, daß ich diejenige bin, die Ihr von den drei Riesen befreit habt. Nehmt, wenn Ihr wollt, meine Hand zum Dank!" Da wußte sich der junge Ritter vor Freude fast nicht zu fassen, er drückte seine Hand fest in die ihm dargebotene Rechte der schönen Jungfrau, und Mutter und Brüder wünschten ihm herzlich Glück zu seiner holden Braut.

Nach wenigen Wochen wurde in dem Schloß, in dem den drei Riesen der Garaus gemacht worden war, die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert, und die neuen Eheleute lebten glücklich beieinander bis an ihr spätes Ende.


Quelle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Gesammelt durch die Brüder Ignaz Vinc. und Josef Zingerle, herausgegeben von Ignaz Vinc. von Zingerle. Innsbruck 1911