ZAUBERTOPF UND ZAUBERKUGEL

In einem Dorf lebte einst ein Mesner, der war arm wie eine Kirchenmaus. Nur wenn seine Frau in der Stadt Eier verkaufte, gab es ein paar Groschen. Vor Ostern aber gingen alle Hühner bis auf eines zugrunde. Das verdroß die Frau so sehr, daß sie sich vornahm, dieses letzte Huhn in der Stadt zu verkaufen.

Am nächsten Morgen ergriff sie den Buckelkorb, steckte die Henne hinein und machte sich auf den Weg. Sie mußte einen steilen Berg hinauf, der sie zwang, öfters zu rasten. Als sie sich wieder einmal niedersetzte, erblickte sie ein seltsames Männlein. Es kroch gerade aus einem Gebüsch und trug einen langen, weißen Bart. Die Frau erschrak, doch das Männlein trat näher heran und fragte: "Wohin gehst du?"

Sie antwortete: "Ich will in die Stadt, um meine letzte Henne zu verkaufen."

"Ei, ei", meinte das Männlein, "gib mir die Henne! Geld habe ich keines, aber ich gebe dir einen Topf dafür!"

Da lachte die Frau. "Was, einen Topf? Das glaubst du wohl selbst nicht, daß der soviel wert ist wie meine Henne!"

Das Männlein blickte ganz ernst und sagte: "Lache nicht zu früh, es wird sich erst zeigen, was mehr wert ist, der Topf oder die Henne. Wenn du aber nicht willst, so laß es bleiben. Ich werde dich nicht zwingen."

Nun überlegte sich's die Frau und willigte in den Tausch. Da lief das Männlein ins Gebüsch und kam alsbald mit einem rußigen Topf zurück. Den stellte er vor die Frau hin und sagte: "Mit diesem Topf kannst du alles herbeiwünschen, was du nur willst. Wenn du ihn brauchst, so stell ihn in den Schatten, deck ein Tuch darüber und sag: "Topf füll dich!" Du wirst sehen, daß er gehorcht. Nur gib acht, daß du ihn nie in die Sonne stellst und den Ruß nicht abwischst!"

Die Frau gab ihm die Henne und übernahm den Topf. Dann versprach sie dem Männlein, alles zu beherzigen, was es ihr geraten hatte, und ging heim.

Zu Hause wollte sie gleich erproben, ob der Topf wirklich ein solches Wunderwerk sei, wie das Männlein behauptet hatte. Sie stellte ihn in den Schatten, deckte ihn zu und rief: "Topf füll dich mit Milch!" Und als sie das Tuch abhob, war der Topf bis zum Rand mit Milch gefüllt. Da schlug sie vor Freude die Hände zusammen, holte ihren Mann herbei und erzählte ihm von dem wunderbaren Tausch.

Von nun an füllte sich der Zaubertopf oft und oft, einmal mit Milch, das andere Mal mit Mehl, aber auch mit Kaffee und Wein, je nach den Wünschen der Mesnerleute. Die beiden waren nun ihrer Sorgen ledig und lebten vergnügt und zufrieden. Nur wurde der Topf jedesmal schwärzer und sah bald aus, als ob er mit Pech bestrichen wäre.

Eines Tages nahm ihn die Frau, die gerade an etwas anderes dachte, aus seiner dunklen Ecke. Und ganz in Gedanken verloren rieb und putzte sie ihn blitzblank und stellte ihn in die Sonne. Als er dann trocken war, glänzte er wie reines Gold. Darüber hatte die Frau eine Riesenfreude und wollte ihn ins Zimmer tragen. Kaum aber hatte sie die Hand danach ausgestreckt, bekam sie einen solchen Schlag, daß sie ohnmächtig niederstürzte. Als sie zu sich kam, war der Topf verschwunden.

Da wurde ihr klar, daß sie das Gebot des Männleins übertreten hatte und nun bitter dafür büßen mußte. Eine Weile saß sie traurig da und grübelte. Plötzlich fiel ihr ein, daß ja auch ihr Mann einmal sein Glück versuchen könnte, und sie sagte zu ihm: "Geh morgen in die Stadt, vielleicht kommt dir das Männlein in den Weg."

Am nächsten Tag kaufte der Mesner von seinem Nachbarn ein Lamm und trieb es der Stadt zu. Als er auf den Berg kam, setzte er sich nieder, just an derselben Stelle wie damals seine Frau. Dort blieb er eine Zeitlang sitzen. Es wollte sich aber kein Männlein zeigen. Endlich verließ ihn die Geduld, er erhob sich und ging weiter, doch da rauschte es im Gebüsch, und das Männlein stand vor ihm.

"Wohin gehst du?" fragte es.

"In die Stadt auf den Markt, ich möchte das Lamm verkaufen", erwiderte der Mesner.

"Gib dir keine Mühe", meinte das Männlein, "du wirst heute kein Glück haben. Es sind so viele Schafe auf dem Markt, daß du deines gar nicht anbringen wirst. Wenn du aber willst, so gebe ich dir eine Kugel dafür."

"Was?" sagte der Mesner, "eine Kugel für ein Lamm? Daraus wird nichts. Wenn ich mein Lamm verkaufe, kann ich mir Kugeln genug anschaffen."

"Fragt sich erst, ob es solche Kugeln sind wie die meine", sagte das Männlein. "Wenn du aber nicht willst, so behalte dein Lamm, ich brauche es nicht!"

Der Mesner wollte sich's aber mit dem Männlein nicht verderben und willigte endlich doch in den Tausch. Da verschwand das Männlein und kam nach kurzer Zeit mit einer Kugel zurück. Der Mesner betrachtete das Ding, und es kam ihm vor, als ob es aus Holz wäre.
Jetzt sagte das Männlein: "Wenn du die Kugel brauchst, so leg sie auf die Erde und sprich: ‚Kugel, sei höflich und nimm das Käppiein ab!' Du wirst dann gleich sehen, was geschieht. Laß aber ja niemals eine Tür oder ein Fenster offen, wenn du gerade die Kugel benützt. Das würde dir großen Schaden bringen!"

Der Mesner nahm die Kugel in die Hand, aber sie war so schwer, daß er sie kaum halten konnte. Nun wickelte er sie in sein Taschentuch und trug sie auf der Schulter nach Hause. Daheim fieberte er schon vor Neugierde, was es mit der Kugel auf sich habe, und er ging gleich daran, einen Versuch zu machen. Zuerst schloß er alle Türen und Fenster, dann legte er die Kugel auf die Erde und sagte: "Kugel, sei höflich und nimm das Käppiein ab!"

Da fing die Kugel zu rollen an und rollte immer schneller und schneller, und auf einmal zersprang sie in zwei Teile. In diesem Augenblick hüpften kleine Männlein aus ihr hervor. Sie stellten goldenes Geschirr auf den Tisch und dazu die köstlichsten Speisen, verschwanden aber so schnell in der Kugel, wie sie gekommen waren.
Nun setzten sich die Leute zu dem herrlichen Mahl und ließen sich's gut schmecken. Kaum waren sie fertig, teilte sich die Kugel wieder, die Männlein hüpften heraus, räumten den Tisch ab, nahmen das goldene Geschirr mit sich und verschwanden in der Kugel, die sich dann von selber schloß.

So versorgte die wunderbare Kugel die Mesnerfamilie lange Zeit aufs beste, und die Frau ging mit ihr viel vorsichtiger um als früher mit dem Topf. Doch nach und nach wurde im Dorf gemunkelt, daß der Mesner eine Zauberkugel besitze, und eines Tages kam das Gerücht auch dem Bürgermeister zu Ohren.

Der ließ sich gleich den Mesner kommen und fragte ihn: "Ist es wahr, was man über dich erzählt? Hast du wirklich eine Zauberkugel?"

Der Mesner wollte anfangs mit der Sprache nicht heraus, aber der Bürgermeister drohte ihm mit Pranger und Kerker, so daß er gezwungen war, sein Geheimnis preiszugeben. Er mußte nun die Kugel in das Rathaus bringen und genau erzählen, welche Bewandtnis es mit ihr habe. Der Bürgermeister behielt sich das Wunderding und versprach dem Mesner dafür eine Stelle in seiner Kanzlei. Es vergingen aber etliche Monate, ohne daß der Bürgermeister sein gegebenes Wort eingelöst hätte, und der Mesner nagte mit den Seinen neuerdings am Hungertuch.

In dieser Not nahm er sich eines Tages vor, noch einmal auf den Berg zu steigen und das Männlein um eine andere Kugel zu bitten. Schon am Morgen band er seine zwei Ochsen mit einem Strick zusammen und trieb sie der Stadt zu. Auf der Höhe rastete er und setzte sich auf einen Stein. In diesem Augenblick war auch schon das Männlein wieder zur Stelle und fragte: "Kommst du dir wieder eine Kugel holen?"

"Ja", sagte der Mesner, "ich möchte gern eine bessere haben, deshalb habe ich gleich zwei Ochsen mitgebracht."

"Gut", sprach das Männlein, "du sollst sie bekommen."

Darauf verschwand es, und als es zurückkam, brachte es eine Kugel mit, die noch größer war als die erste.

"Was du zu tun hast, weißt du ja", sagte es und gab dem Mesner die Kugel.

Der Mesner bedankte sich vielmals und ging eilig heim. Als er zu Hause war, machte er schnell alle Türen und Fenster zu, legte die Kugel auf den Boden und rief: "Kugel, sei höflich und nimm das Käppiein ab!"

Da fing sie zu rollen an, rollte immer schneller und schneller und teilte sich endlich. Aber o Schrecken! Statt der kleinen Männlein mit den goldenen Schüsseln stiegen zwei Riesen mit ungeheuren Knütteln heraus, die schlugen auf alle ringsum so unbarmherzig ein, daß der Mesner samt den Seinen ohnmächtig zu Boden stürzte.

Der erste, der wieder zu sich kam, war der Mesner. ‚Nun werde ich dem Bürgermeister alles tüchtig heimzahlen', dachte er gleich, nahm die Kugel und machte sich auf den Weg zu ihm. Der Bürgermeister aber hatte Gäste im Haus und wollte den Mesner nicht einlassen. Da bat der Mesner, man möge dem Bürgermeister melden, daß er eine Kugel habe, die noch weit besser sei als die erste. Nun durfte er sogleich eintreten, und der Bürgermeister forderte ihn auf, vor der ganzen Gesellschaft die Zauberkugel zu zeigen.

Der Mesner legte die Kugel auf den Boden und rief: "Kugel, sei höflich und nimm das Käppiein ab!"

Sogleich fing die Kugel zu rollen an und teilte sich im Nu. Und als die beiden Riesen herauskamen, fielen sie mit ihren Knütteln über die Gäste her und prügelten alle so derb, daß sie wie tote Mücken auf dem Boden liegenblieben. Nur der Bürgermeister hatte die Besinnung nicht ganz verloren. Während ihm die Riesen die Haut gerbten, schrie er in einem fort, der Mesner möge doch die zwei Teufel endlich zur Ruhe bringen.

Jedoch der Mesner hatte sich vorgenommen, den günstigen Augenblick zu nützen, und sagte zum Bürgermeister: "Die zwei werden nicht eher ruhen, als bis du mir wieder meine Kugel gibst, um die du mich betrogen hast."

Jetzt griff der Bürgermeister schnell in die Tasche, holte einen Schlüssel hervor und gab ihn dem Mesner. "Das ist der Schlüssel zu dem Kasten, in dem die Kugel liegt", sagte er.

In diesem Augenblick machten die Riesen kehrt und verschwanden in der Kugel. Der Mesner aber holte flink die erste Kugel aus dem Kasten, packte auch die zweite und ging davon.

Von da an benützte er die kleinere Kugel noch lange, und es ging alles bei ihm aufs beste. Eines Tages aber wollte er einigen Freunden das Kunststück zeigen, nahm die Kugel, legte sie auf den Boden und rief: "Kugel, sei höflich und nimm das Käppiein ab!"

Die Kugel fing zu rollen an, doch kam gerade der jüngste Bub des Mesners zur Tür herein, und sogleich flog die Kugel durch die offene Tür ins Freie.

Da stürzte der Mesner samt seinen Gästen hinaus, und alle liefen der Kugel nach. Sie rollte aber immer schneller und schneller, endlich teilte sie sich, und aus beiden Hälften kamen unzählige kleine Männlein heraus. Sie hatten allerlei Goldsachen in den Händen und liefen damit eiligst davon, in die Berge. Dort sollen sie noch heute das Gold hüten.

Es flog aber auch die zweite Kugel durch die offene Tür hinaus und teilte sich ebenfalls. Statt der Männlein kamen aus ihr unzählige Riesen hervor, die auch in die Berge flüchteten. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute in den Felsen droben.

Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957