DER HÖLLISCHE TORWARTEL

Es wollte sich ein recht schmutziger Knabe gar nie waschen lassen und ging immer mit seinem unsauberen Gesichte herum. Kein Warnen und Zureden half hier, und so wurde der Schmutzige täglich noch schmutziger. Wenn aber die Leute recht unrein sind und so ungewaschen herumwandern, bekommt der Böse über sie Gewalt. Das hat schon mancher zu bitterm Leide erfahren und zu spät bereut. So ging es auch diesem Knaben. Auf einmal war er verschwunden, man konnte von ihm weder Laub noch Staub sehen und kein Mensch konnte ihn mehr erfragen.

Sieben Jahre waren seit dem Verschwinden des Knaben vergangen und er war fast ganz vergessen, als er nach so langer Zeit auf einmal wieder um die Wege war. Er war aber so verändert und gealtert, daß ihn seine besten Bekannten nur mehr mit Mühe erkennen konnten. Seine Hautfarbe war ganz schwarz und sein Haar ganz struppig. Auch war er sehr stille und einsilbig geworden und man brachte nicht viel aus ihm heraus. Nur das erzählte er öfters, besonders den Kindern, daß er wegen seiner Scheu vor dem Waschen in die Gewalt des Teufels gekommen sei und deshalb als Torwartel am Höllentor habe dienen müssen. Da hat er nun alle gesehen, welche in dieser ganzen Zeit durch dieses feurige Tor eingezogen waren, und es waren ihrer so viele, daß sie niemand hätte zählen können. Reiche und vornehme, Arme und niedrige, Männer und Weiber mußten am Torwartel vorüberziehen und er wußte Gott Dank, daß er nicht selbst durch das Tor gemußt und seine Dienstzeit nur sieben Jahre gedauert hatte. Auch hatte er gute Vorsätze gemacht, sich fleißig zu waschen und nicht mehr den Schmutz an sich zu leiden. - Und diese hat er auch fleißig erfüllt, denn er wollte nie und nimmermehr hölischer Torwartel werden und die Verdammten vorbeiziehen sehen. (Bozen.)


Quelle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Gesammelt durch die Brüder Ignaz Vinc. und Josef Zingerle, herausgegeben von Ignaz Vinc. von Zingerle. Innsbruck 1911, Nr. 7, Seite 37