AIDS GEDENKBALLONS

Kurier, 17. Mai 1998:
Penzing:
Zeugen glauben an UFO-Besuch. Eine offenbar höchst wandlungsfähige "Licht-Erscheinung" löste Freitag spätabends im Westen von Wien eine Art UFO-Alarm aus.

Groß oder klein, eckig oder rund, aber auf jeden Fall grell orange leuchtend, zogen vier verdächtige Lichterscheinungen vom Wilhelminenberg über die Baumgartner Höhe in Richtung Lainzer Tiergarten. Am eindrucksvollsten erlebten Matthias F., 24, und seine Freundin Heidi, 18, aus Wien-Ottakring das Phänomen. Das junge Paar hatte gegen 23.30 Uhr einen Freund beim elterlichen Wohnhaus auf der Baumgartner Höhe abgeliefert. Da passierte es: "Plötzlich sahen wir drei Lichtkörper auf uns zuschweben, sie hielten an, dann erschien ein viertes Objekt und kam noch näher. Es hatte mindestens 50 Meter Durchmesser, man konnte eine Plattform erkennen", schilderte die junge Dame Samstag das Erlebnis und präsentierte prompt eine präzise Modellskizze. Dem vor Ort lebenden Freund, dessen Vater und einem weiteren Zeugen kamen die Dinger weit kleiner, wenngleich durchaus eindrucksvoll vor. Etwa gleichzeitig verblüffte die "UFO-Parade" auch einen in der Hütteldorfer Straße wohnhaften Juristen samt Nachbarschaft. Hier machten die Beobachter allerdings eckige Formen aus. Den Behörden inklusive den Luftraumüberwachern der Austria Control war das Ereignis gänzlich entgangen. Dabei fliegen die UFOs im Frühsommer besonders gerne.

Kurier, 19. Mai 1998:
Video zeigt rätselhafte Lichtkugel über Wien

Uni-Astronomen vermuten irdisches Phänomen Einfach nicht zu identifizieren sind die Freitag abend im Westen von Wien beobachteten mysteriösen Flugobjekte. Wie der KURIER berichtete, lieferten ein gutes Dutzend Zeugen höchst unterschiedliche Beschreibungen der vier über Penzing und Hietzing beobachteten "UFOs". Nun mischt allerdings auch ein Video-Amateur bei der Jagd nach den grünen Männchen mit. Dieter Haselböck aus Penzing, ein nüchterner, jeglicher UFO-romantik abgeneigter Geschäftsmann erwischte die Leuchtkugeln mit der Videokamera. In der vergrößerten Aufnahme waren an der angezoomten Kugel freilich keinerlei Erkennungszeichen auszumachen. Das Ding zeigte weder irdische noch außerirdische Hoheitszeichen. Ergebnislos blieben inzwischen auch die Bemühungen der Austro Control um die Zuordnung der frech in den Wiener Luftraum eingedrungen Objekte. Um die kritische Zeit, Freitag zwischen 22.30 und 22.50 Uhr gab es keine passenden Flugbewegungen. Trotzdem verharren etwa die ebenfalls zuweilen mit dem UFO-Problem beschäftigten Astronomen der Universität in ungebrochener Skepsis. Experte Dr. Gerhard Polnitzky: "Gut 95 Prozent aller Sichtungen sind eindeutig klärbar. Und bei den restlichen Beobachtungen sind die Angaben eifach zu vage." Als Hauptdarsteller der außerirdischen Luftfahrt wirken Lichtshows, deren Scheinwerfer bizarre Gebilde in den Himmel zaubern. Beleuchtete Heißluftballons und bestimmte Modellflugzeugtypen haben ebenfalls ihre Qualitäten. Einzelne Modellbaukünstler haben bereits äußerst realistische Untertassen in den Himmel geschickt.

Kurier, 3.Juni 1998:
Langes Rätselraten nach Feier für Aids-Opfer.

Ein Nachtrag zu einer würdig schlichten Veranstaltung zerstörte die Hoffnungen der - nach außerirdischen Kontakten dürstenden - Menschheit. Die am Freitag vor zwei Wochen über Wien-West georteten UFOs sollen in Wahrheit Mini-Heißluftballons gewesen sein. Das "Outing" kam vom Selbsthilfeverein "Menschen und Aids, Club Plus". Die Gruppe hatte zur kritischen Zeit bei der Otto-Wagner-Kirche auf der Baumgartner Höhe eine Gedenkfeier für die 1131 österreichischen Aids-Opfer abgehalten. Zum Abschluß wurden vier aus Thailand importierte, mit Namen der Toten beschriftete Seelenballons in den Nachthimmel geschickt. Die mit einer Art Fackellicht beheizten Kurzstreckenflieger mit einem Meter Durchmesser weckten bei ahnungslosen Beobachtern ungeahnte Assoziationen. Angesichts der UFO-Aufregung inklusive Einschaltung der Luftraumüberwacher von der Austro Control kamen den terrestrischen Urhebern unter Vereins-Obmann Jürgen Cors Bedenken. Womöglich hatten sie unwissentlich gesetzliche Luftfahrtbestimmungen übertreten. Prompt hielt man sich bedeckt. Zum Glück gab die Austro Control quasi nachträglich grünes Licht. Spielzeugdrachen, Miniballons und dergleichen mit maximal 150 Meter Steighöhe dürfen abseits von Flughäfen frei durch die Lüfte flattern. Mangels Masse und Steighöhe stören sie weder das Radar noch andere Luftfahrzeuge. Somit steht auch weiteren Gedenkflügen mit diversen Reservemodellen nichts im Wege. In Südostasien glauben die Menschen, daß die Seelen der Toten via Ballon in den Himmel fliegen. In diesem Fall dürften die reisenden Geister freilich ein bißchen über die effektvolle Reise geschmunzelt haben.


Quelle: Kurier, 17. Mai 1998, 19. Mai 1998, 3. Juni 1998