SCHWARZE MÄNNER

Die bösen schwarzen Männer, die vor einiger Zeit im Tiroler Oberland ihr Unwesen getrieben haben.
Sie hatten es auf Kinder abgesehen, vor allem auf Mädchen.

Diese Männer waren Ausländer und eröffneten ihre schurkische Kampagne im Paznaun.

Später traten sie auch in anderen Teilen des Landes in Erscheinung. Die Angst vor ihnen erreichte bald hohen Pegelstand. Die Geschichten über ihre Umtriebe wurden immer detaillierter. Aufgrund der vielen Anzeigen fahndete die Gendarmerie monatelang nach den Bösewichtern. Die Zeitungen waren voll von Berichten über sie.

Aber auch Rundfunk und Fernsehen befaßten sich mit der dunklen Materie.

Irgendwo las ich, die Ganoven trügen nicht nur schwarze Haare und schwarze Bärte auf dunkler Haut, sondern (man beachte die Hingabe ans Detail !) auch dunkle Brillen auf ihren Nasen. "Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?" war aus dem Spiele-Kanon in die Wirklichkeit geglitten. Immer mehr Kinder und Erwachsene beteiligten sich daran. Abgebrochen wurde erst, als sich etwas ereignete, das sich wie ein literarischer Versuch ausnimmt.

Dieses Ereignis gelangte allerdings nicht mehr ans Licht der Öffentlichkeit.
Warum die Medien, die wochenlang sozusagen biologisch reine Phantasieprodukte auf dem Marktstand der Tagesneuigkeiten feilgeboten hatten, diesen wahren Schluß unterschlugen, bleibt für immer ein Geheimnis der hiesigen Publizistik.

Der wahre Schluß aber geht so:

In Kappl kam ein Mädchen eines Tages aufgeregt nach Hause und berichtete, zwei schwarze Männer hätten ihr Auto angehalten und sie in dieses locken wollen. Sie sei jedoch schnell davongelaufen. Der Vater ließ sich das Gesicht eines der Schurken genau beschreiben und fertigte ein Phantombild an.

Wie sich zeigen sollte, war die Tochter eine so genaue Beobachterin wie der Vater ein hervorragender graphischer Transformator. Man eilte mit dem Bleistiftgesicht zum Gendarmerieposten. Einer der Beamten, ein Gemeindebürger von See, sah es und rief: "Des ischt oachagschnitta dr Pater Schmid!"

Dieser war auf Urlaub in seiner Heimatgemeinde. Er hatte schon vor Jahren durch den Umstand, daß ihn die brasilianische Großgrundbesitzer-Mafia wegen seines Einsatzes für die Landlosen mit dem Tode bedrohte, allgemeine Bekanntheit erlangt. Amnesty International hatte daraufhin eine Kampagne für ihn durchgeführt. Den mit der Zeichnung seines Gesichts angerückten Gendarmen (sie hatten ihn natürlich nie im Verdacht) erzählte Pater Schmid dann den Sachverhalt.

Er war mit einer brasilianischen Missionshelferin, die sich ebenfalls im schönen Paznaun erholte, in einem Auto nach Kappl gefahren. Als sie im Schnee tollende Kinder sahen, ersuchte sie ihn anzuhalten, damit sie dieses für sie exotische Schauspiel genießen könne. Doch die Kinder liefen davon.

So also war man auf den Kern der schwarzen Männer gestoßen. Leute, die weit von ihrer gefährlichen Wirkungsstätte neue Kraft hatten sammeln wollen, waren in eine kopfgeborene Geschichte von Kinderentführern geraten.


Quelle: Kurier, 2. Mai 1997.