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Eine Vorbemerkung: Als Tierfreund finde ich es diskriminierend, daß „Kräuter und Pflanzen“ eine eigene Abteilung bekommen und Tiere nicht!
Trotzdem: Von langlebigen Tieren Manche Tiere faszinieren mehr als andere, manche ihrer Schönheit wegen, andere wegen besonderer Gaben, einige schließlich einer Langlebigkeit wegen, die dem menschlichen Ideal der Unsterblichkeit de facto schon recht nahe kommt. Kaum jemand, der dafür empfänglich ist, wird von der Meldung ganz unberührt geblieben sein, daß am 14. November 2005 der 175. Geburtstag der nun im Zoo von Brisbane lebenden Riesenschildkröte Harriet begangen wurde. Wenn man bedenkt, daß sie noch zu Lebzeiten Goethes geboren und von Darwin persönlich nach England (erst später ins wärmere Australien) gebracht wurde, muß man immerhin erstaunen. Solches Erstaunen über die schiere Langlebigkeit von Schildkröten hat auch – und ohne den konkreten Anlaß eines 175. Geburtstages – literarischen Niederschlag gefunden, etwa bei Christian Morgenstern: Die Schildkrökröte Ich bin eintausend Jahre alt und werde täglich älter; der Gotenkönig Theobald erzog mich im Behälter. Seitdem ist mancherlei geschehn, doch weiß ich nichts davon; zur Zeit, da läßt für Geld mich sehn ein Kaufmann zu Heilbronn. Ich kenne nicht des Todes Bild und nicht des Sterbens Nöte: Ich bin die Schild - ich bin die Schild - ich bin die Schild - krö - kröte. Nun steht die Schildkröte im menschlichen Bewußstein als langlebig nicht allein, zumindest der Papagei macht ihr Konkurrenz und er hat einen Vorteil – er spricht. Auch dazu ist Morgenstern ein Gedicht eingefallen: Es war einmal ein Papagei, der war beim Schöpfungsakt dabei und lernte gleich am rechten Ort des ersten Menschen erstes Wort. Des Menschen erstes Wort war A und hieß fast alles, was er sah, z.B. Fisch, z.B. Brod, z.B. Leben oder Tod. Erst nach Jahrhunderten voll Schnee erfand der Mensch zum A das B und dann das L und dann das Q und schließlich noch das Z dazu. Gedachter Papagei indem ward älter als Methusalem bewahrend treu in Brust und Schnabel die erste menschliche Vokabel. Zum Schlusse starb auch er am Zips. Doch heut noch steht sein Bild in Gips, geschmückt mit einem großen A, im Staatsschatz zu Ekbatana. Abgesehen von der Frage, wie es mit dem längstverschollenen persischen Staatsschatz beschaffen gewesen sein mag, könnte man die Sache auf sich beruhen lassen, denn Morgenstern scheint von der sprach-überliefernden Fähigkeit der Papageien nicht sonderlich überzeugt gewesen zu sein. Aber es gibt eine bessere Fortsetzung und zwar bei Alexander von Humboldt, der in seinen „Ansichten der Natur“ vom Stamme der Aturer im Orinoko-Gebiet in Südamerika berichtet: „... die tapferen Aturer haben sich, von menschenfressenden Kariben bedrängt, auf die Klippen der Katarakten gerettet; ein trauriger Wohnsitz, in welchem der bedrängte Völkerstamm und mit ihm seine Sprache unterging... es ist wahrscheinlich, daß die letzte Familie der Aturer spät erst ausgestorben sei. Denn in Maipures (ein sonderbares Faktum) lebt noch ein alter Papagei, von dem die Eingeborenen behaupten, daß man ihn darum nicht verstehe, weil er die Sprache der Aturer rede.“ Auch zu diesem Papagei gibt es ein Gedicht! Nicht von Humboldt selbst, wie gelegentlich – an den seltenen Stellen, wo es überhaupt erwähnt wird (im Internet bisher exakt 1x) – behauptet wird, sondern von Ernst Curtius, der damals Erzieher am preußischen Königshofe war und später Ausgräber von Olympia werden sollte. Brieflich teilte er Humboldt folgendes nicht zur Veröffentlichung bestimmte Gedicht mit: In der Orinoco - Wildnis Sitzt ein alter Papagei Kalt und starr, als ob sein Bildnis Aus dem Stein gehauen sei Schäumend drängt durch Felsendämme Sich des Stroms zerrissne Flut, Drüber wiegen Palmenstämme Sich in heitrer Sonnenglut Wie hinan die Welle strebet, Nie erreichet sie das Ziel In den Wasserstand verwebet Sich der Sonne Farbenspiel. Unten, wo die Wogen branden, Hält ein Volk die ew´ge Ruh; Fortgedrängt aus seinen Landen, Floh es diesen Klippen zu. Und es starben die Aturen, Wie sie lebten, frei und kühn; Ihres Stammes letzte Spuren Birgt des Uferschilfes Grün Der Aturen allerletzter, Trauert dort der Papagei; Am Gestein den Schnabel wetzt er, Durch die Lüfte tönt sein Schrei. Ach die Knaben, die ihn lehrten Ihrer Muttersprache Laut, Und die Frauen, die ihn nährten, Die ihm selbst das Nest gebaut: Alle liegen sie erschlagen Auf dem Ufer hingestreckt, Und mit seinen bangen Klagen Hat er keinen aufgeweckt. Einsam ruft er, unverstanden, In die fremde Welt hinein; Nur die Wasser hört er branden, Keine Seele achtet sein. Und der Wilde, der ihn schaute, Rudert schnell am Riff vorbei; Niemand sah, dem es nicht graute, Den Aturen-Papagei. Soweit ich sehe, wurde dem Papagei der Aturen weiterer literarischer Ruhm nicht zu Teil (eines Besseren lasse ich mich gerne belehren!). PS: Aber Wolfgang von sagen.at sei immerhin darauf hingewiesen, daß die Geschichte unter dem Aspekt „Bewahrung des Sprachklanges“ eine sehr gelehrte Fußnote für die Zeit vor Erfindung des Grammophons abgeben könnte. :-) _____________________ Für die Bibliographie: A. v. Humboldt, Ansichten der Natur (3. Aufl. 1849); in der Ausgabe 1986 (Die Andere Bibliothek hg. v. H.M. Enzensberger) 192 und 210 ff. Auszugsweise zitiert das Gedicht: A.E. Brehm, Illustrirtes Thierleben (1. Aufl. Bd. 3 1866) 14 f. Geändert von D.F. (04.12.2005 um 00:04 Uhr) |
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