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#1
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Seit kürzlich beim Thema Tanzstunde auch der Anstandsunterricht gestreift wurde, lese ich ständig in meinen Anstandsbüchern (ich habe etliche aus der Zeit von 1904 bis heute). Es hat sich ja einiges geändert im Laufe der Jahre ...
![]() Zwei kleine Erlebnisse gehen mir seither nicht mehr aus dem Kopf, obwohl ich sie seit langem vergessen hatte: Um 1960 verließ ich mit meinem damaligen Freund ein Geschäft und sagte beim Rausgehen "Auf Wiedersehen". Mein Freund fuhr mich empört an: ![]() Etwa fünf Jahre später arbeitete ich bei Siemens in München und hörte dort, Frauen würden in Vertriebsabteilungen grundsätzlich nicht eingestellt (außer natürlich als Tippse). Ich fragte die Kollegen nach dem Grund. Keiner wußte es. Schließlich meinten sie: Wahrscheinlich, weil Leute im Vertrieb manchmal Kunden zum Essen in ein Lokal einladen müssen, und eine Frau kann ja nicht einen Mann einladen ... (In dieser Zeit konnte es übrigens einer Frau, die allein ein Lokal besuchte, noch passieren, daß sie nicht bedient wurde. Die Kellner taten einfach so, als sei sie nicht da.) Wer kann etwas von früheren/heutigen "Benimm"-Gewohnheiten und Erlebnissen berichten? |
#2
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Wirklich ein sehr interessantes Thema
![]() Allerdings bin ich da vermutlich eine sehr unergiebige "Quelle", denn früher war der Stadt/Land-Unterschied noch viel größer und es kam sicher auch auf das Umfeld an. Regeln hab ich jedenfalls nie gelesen, man bekam einfach mit, was sich gehörte - im Dorf und daraus schloss man auf den Rest der Welt ![]() Die Meldung deines Freundes galt vermutlich auch damals - nachdem es in keiner Gebrauchsanweisung zu finden war - wie heute schlicht als arrogant. Oder sein Standesbewusstsein hat irgendwann mal etwas falsch verstanden. Vielleicht seh ich das auch falsch, auf dem Land grüßte jedenfalls Jeder Jeden. Mein erster Arbeitsplatz - eigentlich der zweite, nach einer 4-monatigen Lehre - war eine Metallwarenfabrik. Weil es ja mitten im Schul- und daher auch Lehrjahr war, war keine Lehrstelle, die man täglich erreichen konnte, frei und ich wollte, bis es so weit war, Geld verdienen. In meiner (Bohr-)Abteilung war ich mit meinen knapp 15 Jahren das Küken, es waren hauptsächlich Frauen da und die "passten auf" ![]() In höheren Etagen mag das schon anders gewesen sein, aber auch wenn wir uns am Freitag brav ums Lohnsackerl angestellt haben, war die Dame aus dem Büro locker und freundlich und machte ihre Scherze. In ein Lokal ging man hier ausschließlich in Begleitung, in ein Kaffeehaus gingen Frauen natürlich schon allein, meist aber mit Freundinnen. Aufgefallen ist mir, dass es ziemlich unmöglich war, selbst zu zahlen, man war immer von irgend einer Seite "eingeladen", oft fand ich das ziemlich unangenehm, weil ich das Gefühl hatte, ich schulde dem jetzt etwas. Aber scheinbar war das so eine eigenartiger Ehrenkodex bei den Burschen. Dieser Brauch hielt sich ziemlich lange, nachdem ich nie gern in Lokalen war, ist mir eine ungute Behandlung in diesem von dir erwähntem Fall nie aufgefallen, auch nicht gegenüber anderen. Aber getratscht wurde natürlich schnell. |
#3
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![]() Zitat:
![]() Meine Mutter hat mir allerdings schon einiges beigebracht. Ich erinnere mich, wie sie mich einmal auf der Straße darauf hinwies, ich ginge an ihrer falschen Seite. Es hat mich sehr verblüfft: Wieso war es von Belang, wer rechts und wer links ging? Es wurde auch nicht begründet; Anstandsregeln gab es eben, und man hinterfragte sie nicht. ![]() Daß auf dem Land jeder jeden grüßte, hat mich bei meinem ersten Besuch bei Verwandten auf dem Land verwundert. Interessant finde ich, daß sich diese Sitte in anderem Umfeld erhalten hat. Ich wohne hier in einem Vorort – siehe Abbildung unten. Leute, die sich auf den Fußgängerwegen (gestrichelte Linien) zwischen den Häusern, Gärten und Grünanlagen begegnen, grüßen einander, ob sie sich kennen oder nicht. Man sagt "Grüß Gott" – das anderswo weitgehend übliche "Hallo" (mit dem einen inzwischen auch die Angestellten in den Geschäften begrüßen) wäre zu formlos. Auf den Fahrstraßen (Buchenland-, Stäudlenweg) grüßt man nicht. Man grüßt Unbekannte auch in freier Landschaft – auch hier vorwiegend mit "Grüß Gott", aber "Hallo" ist auch schon möglich. Auch ich habe meinen ersten Arbeitsplatz so angenehm gefunden, weil man sich "auf Augenhöhe" begegnete und ernstgenommen wurde. Bei uns waren die Männer Beamte (und Vorgesetzte), die Frauen Angestellte. Das störte nicht; alle arbeiteten gleichermaßen, und jeder sah, was der andere tat und leistete. Stimmt, als Frau konnte man eigentlich nur ins Café gehen, auch allein. Mir ist es schon passiert, daß ich im Lokal nicht bedient wurde. Frau konnte problemlos in einem "Wienerwald" ("Heute bleibt die Küche kalt ... gab es die Lokale in Österreich überhaupt?) und vergleichbaren Lokalen essen gehen, aber in "gehobenen" Häusern war man bis in die 60er Jahre durchaus der Meinung, eine Frau, die alleine kam, könne unmöglich eine solide Person sein, und man beachte sie besser gar nicht ... Daß man als Frau nicht bezahlte, war klar. Wenn man sich besser kannte, mußte man nicht "eingeladen" werden, sondern konnte sich einfach drauf einigen, ob und wohin man essen ging und wer bezahlte. Das sah dann aber so aus, daß entweder die Frau dem Mann ihr Portemonnaie unauffällig unter dem Tisch rüberreichte oder ihm das Geld nach Verlassen des Lokals gab. Der/die Kellner/in überreichte automatisch dem Mann die Gesamtrechnung für beide. In den 80er, 90er Jahren hatte sich das geändert. Auch wenn es früher indiskutabel schien – ich habe später oft Männer dienstlich zum Essen eingeladen und bezahlt (und die übliche Quittung für die Spesenabrechnung verlangt) ![]() ![]() "Getratscht wurde schnell", schreibst du – meine Freundin aus der Kleinstadt Krumbach erzählte mir erst neulich von einer Frau, die dort ein Café eröffnet hat: "Sie hat natürlich bald pleite gemacht. Bei uns geht man nicht ins Café, schon gar nicht in eins, wo die Leute von draußen sehen, wer drin sitzt. Da würde es ja gleich heißen: ,Hat die zu Hause nichts zu tun, daß sie sich ins Café setzen kann?’" Bei mir daheim war man übrigens auch der Meinung, wenn ein Paar oder eine Familie auswärts essen geht, dann nur, weil die Frau zu faul zum Kochen ist. ![]() |
#4
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Das mit dem Grüßen ist so eine Sache. In manchen Betrieben wird von 10 Uhr Vormittags bis 3 Uhr Nachmittags "gemahlzeitet". Ich zum Beispiel mag es gar nicht, wenn ich mit "Mahlzeit" gegrüßt werde. Nun hat sich dieser Gruß bereits so weit verbreitet, dass aus der Unsitte (wie das erwähnte Hallo) eine Sitte zu werden droht.
P.S.: Wienerwald gibt es nach vielen Insolvenzen und Besitzwechseln noch immer. Die österreichíschen Lokale gehören derzeit zur Kette Schnitzelland".
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Harry |
#5
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![]() Zitat:
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#6
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Unter Kollegen, auch gegenüber direkten Vorgesetzten ist hier das "Hallo" üblich, gegenüber der Vorstandsebene ein "Guten Morgen" bzw. "Guten Tag" (sofern man die Vorstände bzw. Centerleiter mal trifft).
![]() Privat gegenüber deutlich jüngeren Personen situationsabhängig, aber meist "Hallo". Da wird man mit einem "Guten Morgen" bzw. "Guten Tag" schon oft schief angesehen. Ansonsten schadet ein "Guten Morgen" bzw. "Guten Tag" nicht, man sieht, wie der Gegrüßte reagiert und kann sich in Zukunft darauf einstellen. Ganz anders beim "Du oder Sie". Da entscheide ich immer noch selbst, wen ich duze und von wem ich mich duzen lasse. So kommt es dann doch vor, dass ich eine Person, die mich duzt mit "Sie" anspreche - natürlich nicht unter direkten Kollegen, wo das "Du" Standard ist.
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www.bergbahngeschichte.de |
#7
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Ja, das Grüßen. Der Gruß war hierzulande vor 50 Jahren noch ein Ausdruck der Weltanschauung. Begrüßte man sich im bürgerlichen/bäuerlichen (also schwarzen) Lager mit "Grüß Gott", so war in der Arbeiterklasse (also bei den Roten) "Guten Tag" der richtige Gruß. Da bei den älteren Leuten damals die Wunden des Österreichischer Bürgerkriegs 1934 (roter Schutzbund gegen schwarze Heimwehr) noch nicht restlos verheilt waren, konnte man sich mit dem falschen Gruß ganz schöne Probleme einhandeln.
In den 1960er Jahren ging ich im eine katholische Ordensschule, übte aber meinen Sport beim ASKÖ, dem Arbeitersportklub Österreichs aus. Da wir in erster fliegen wollten und sonst nichts, wurde dort auch nicht politisiert. Als ich jedoch nach den Ferien meinen Lateinlehrer, einen Ordensmann, mit "Guten Tag" begrüßte, war der Teufel los. ![]() Heute ist's mir egal. Ich pflege mit "Grüß Gott" zu grüßen, weil ich es so gewohnt bin. Wen das nicht passt, dar kann mich - ![]()
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Harry |
#8
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An beiden meiner Arbeitsstätten war es üblich, um die Mittagszeit mit "Mahlzeit" zu grüßen, außerhalb wäre das vielleicht etwas komisch, sogar wenn man ein Lokal betritt, wo es ja nicht weit hergeholt wäre
![]() Ein Gruß ist sicher eine Gewohnheitssache, ich erinnere mich noch gut an die ersten Klassen: wir musste antreten und dann "Grüüüüß Gooott!" sagen, je älter wir wurden desto mehr und lauter wurden ü und o, das Rudelgrüßen bekam einen gewissen Spaßfaktor. Und Grüß Gott war und blieb der allgemein übliche Gruß, vielleicht spezifisch österreichisch, mag sein, ist aber auch keine Schande. Wenn immer wieder jemand, natürlich nicht ganz ernst gemeint, fragt: grüßt da Gott oder grüßt ihr ihn - kommt einem schon die Idee, dass es vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Gott zum Gruße, hieß das glaub ich ursprünglich. War ein Segenswunsch oder so. An ein Hallo als allgemein gültigen Gruß kann ich mich schon gar nicht gewöhnen. Da gefällt mir noch am besten das wienerische "Grüßsie" genau so zusammenhängend gesprochen und ich finde, das hat auch Sinn: ich begrüße Sie! Hallo als Anrede - also statt Namen oder Mama/Papa, war überhaupt verpönt. Das wurde bewusst ignoriert und dann hörte man den Spruch: "der Hallo is scho gstorb´n, der liegt neben dem Hearst am Zentralfriedhof". Also Hallo und "hör mal" als Anrede galt als Unhöflichkeit. Ungezogenheit hieß das wohl damals ![]() |
#9
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![]() Zitat:
![]() Meine ebenso ungläubigige und ebenfalls in Norddeutschland aufgewachsene Tochter sagt: "Wieso soll ich Gott grüßen?" und grüßt mit "Hallo" oder "Hi". Ich habe mich an das allgegenwärtige Hallo gewöhnt. "Grüß Gott" ist eine Verkürzung von "Grüß dich Gott", und in unserer Region ist auch die Anrede "Grüß dich" verbreitet, die aber ihre besondere Nuance hat: "Ja, griaß di!" hat den Beiklang von Überraschung und wird vor allem verwendet, wenn man jemanden unerwartet trifft. |
#10
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Griaß di ist natürlich auch bei uns verbreitet und gefällt mir sehr gut, ich verwende es natürlich. Aber es passt eben nicht immer
![]() Da ist die Altermative eben "Grüß sie" ![]() |
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