Tiroler Volksleben.
Ein Beitrag zur deutschen Volks- und Sittenkunde
von
Ludwig von Hörmann. 1909
Vorwort.

Der Niedergang des Volkslebens, der sich seit der Mitte des letzten Jahrhunderts durch das Eindringen der neuzeitlichen Kultur in die vorher abgeschlossenen Täler Tirols mit unheimlicher Schnelligkeit vollzog, eiferte mich schon früh zur Sammlung von Sitten und Gebräuchen sowie anderer Erscheinungen des Volkslebens an. Daneben fesselte mich immer mehr eine andere bedrohte Seite desselben, die sich dem Auge des ferner Stehenden meist entzieht, deshalb aber nicht minder wichtig und interessant ist, nämlich das Alltagsleben des Gebirgsbauern, wie es sich im Wechsel der Altersstufen, Tages- und Jahreszeiten, innerhalb und außerhalb des Hauses, zwischen Leid und Freud, Arbeit und Erholung, Mühsal und Genuß gleichförmig abspinnt. Dieser breite, derbkräftige Untergrund des Alltagslebens, von dem sich die Sitten und Bräuche wie bunte Blumen von fruchtbarer Erdscholle abheben und es ergänzen, bedeutet eine Welt für sich, so urwüchsig, vielgestaltig und poesiereich, daß es sich wohl verlohnt, dieses Vollbild für die Mit- und Nachwelt festzuhalten, ehe es die Kulturwelle wegschwemmt oder wenigstens verflacht und umgestaltet.

Es reifte deshalb der Gedanke in mir, in einer Reihe naturwahrer Schilderungen ein getreues Spiegelbild des "tirolischen Volkslebens" der Gegenwart zu geben, und zwar sollte der 1. Teil das "Fest- und Arbeitsjahr", der 2. das "Familienleben", der 3. das "Dorfleben" enthalten. Als Vorläufer veröffentlichte ich schon im Jahre 1877 die "Tiroler Volkstypen, Beiträge zur Geschichte der Sitten und Kleinindustrie" (Wien, Gerold), und im Jahre 1889 die "Jahreszeiten in den Alpen", deren 2. vermehrte Ausgabe unter dem Titel "Das Tiroler Bauernjahr" (Innsbruck, Wagner 1899) , erschien und vorzüglich die Bauernarbeit zum Inhalt hatte. Das vorliegende "Tiroler Volksleben" bildet den zusammenfassenden Abschluß.

Die Ausführung ist nun allerdings hinter dem ausgesteckten Plane etwas zurückgeblieben. Vor allem erlitt der I. Teil, das "Fest- und Arbeitsjahr" eine Beschränkung, indem darin nur jene Partien der Bauernarbeit Aufnahme fanden, welche im "Tiroler Bauernjahr" nicht enthalten sind. Denn obwohl letzteres Buch nun vergriffen ist, mußte ich doch darauf verzichten, diese einschlägigen Partien in das "Tiroler Volksleben" aufzunehmen, weil dadurch das nur auf einen Band berechnete Buch zu dickleibig geworden wäre. Es wird daher das "Bauernjahr" als selbständiger Band in 3. umgearbeiteter und stark vermehrter Auflage erscheinen. Aber auch der 3. Teil, das "Dorfleben", das in Anlage und Anordnung der einzelnen Abschnitte dem "Familienleben" entsprechend geplant war, erscheint nur durch acht "Bilder und Gestalten" vertreten, da mein anstrengender Beruf als langjähriger Vorstand der Innsbrucker Universitäts-Bibliothek mich ganz in Anspruch nahm und mir zur schwierigen Ausarbeitung des angesammelten Materials nur wenig Zeit gönnte. Wenn ich mich trotzdem zur Herausgabe entschloß, so geschah es erstlich deshalb, weil ich mein Versprechen, das ich bereits im Jahre 1877 in der Vorrede zu den "Tiroler Volkstypen" gegeben hatte, endlich lösen wollte, und zweitens vornehmlich deshalb, weil das Werk auch ohne die fehlenden Partien des "Arbeitsjahres" und des "Dorflebens" ein reich ausgestattetes und in gewissem Sinne auch abgerundetes Bild des tirolischen Volkslebens gibt, besonders wenn es durch die Neuauflage des "Tiroler Bauernjahrs" seine Ergänzung findet. Überdies ist manches, was das "Dorfleben" berührt, wie z. B. die Faschingsbelustigungen, Bittgänge und Prozessionen, Kirchtag u. a. teils im "Festjahr", teils im "Familienleben" im Abschnitt "Jugendjahre" enthalten. Durch die nunmehrige Veröffentlichung wird auch der Kreis der kultur- und sittengeschichtlichen Bücher, welche das Volksleben in den deutschen Alpen behandeln, geschlossen. Steiermark hat schon seit dem Jahre 1876 sein treffliches Volksleben in Steiermark" von P. K. Rosegger, ebenso Rosa Fischers "Oststeirisches Bauernleben" (1903); für Kärnten hat Rudolf Waizer in seinen "Kultur- und Lebensbildern" (1882) und "Kulturbildern und Skizzen" (1896) sowie Frz. Franziszi in seinen wertvollen "Kulturstudien, Sitten und Bräuchen" (1879) und teilweise auch in seinen "Kärntner Alpenfahrten" (1892) berücksichtigt.

Einzig Tirol war in dieser Hinsicht außer dem kleinen Büchlein von A. I. Hammerle: "Vaterländische Spiegelbilder", I. Heft Oberinntal (Innsbruck, Aufschläger, 1860), nur durch die humorgewürzten Schriften von Karl Wolf "Der Burggräfler"(1890) und "Aus dem Volksleben Tirols" (1902) vertreten, welche beiden Werke aber nur das Burggrafenamt zum Schauplatz haben. Das vorliegende Buch soll nun das Volksleben von ganz Tirol zum Ausdruck bringen, wobei natürlich in erster Linie Deutschtirol mit seinen verschiedenen Tälern berücksichtigt wurde. Über die Grenzen habe ich nur bei wenigen Abschnitten gegriffen, wo ein Heranziehen der Nachbarländer zum Vergleiche es erforderte.

Was nun die Behandlung des Stoffes betrifft, so war mein Hauptstreben auf die wahrheitsgetreue Schilderung gerichtet. Ich habe dabei jede Schönfärberei vermieden und das Volk so zu zeichnen gesucht, wie es ist mit seinen Vorzügen, wie mit seinen Schwächen. Das Meiste beruht auf eigener Besichtigung; anderweitige Mitteilungen wurden genau überprüft. Irriges dürfte man daher nicht viel antreffen. Insofern kann das Buch auch als verläßliche Quelle für deutsche Kultur- und Sittengeschichte dienen. Alles gelehrte Beiwerk wurde absichtlich weggelassen.

Bei der Massenhaftigkeit des Stoffes und bei der großen Mannigfaltigkeit der Sitten, Bräuche und Lebensgewohnheiten in den einzelnen Tälern mußte ich mich, wenn die ohnehin stoffgesättigten Bilder nicht verworren werden sollten, mit der Anführung der am meisten charakteristischen Züge begnügen und mich bei Spielarten desselben Brauches auf die wichtigsten und am häufigsten geübten beschränken. Damit hängt auch die Art der Darstellung zusammen. Von der Form der Erzählung, wie sie Rosegger in seinen Schilderungen mit Vorliebe glücklich anwendet, um so die "Eigenart des Volkes am besten und plastisch zum Ausdruck zu bringen", mußte ich absehen, weil bei dieser Form der Zweck, durch Verwertung von viel Stoff ein möglichst erschöpfendes und im Einzelnen ausgeführtes Bild zu geben, nicht erreichbar gewesen wäre.

Zum Schlüsse bleibt mir noch die Verpflichtung, meinen wärmsten Dank allen denjenigen auszusprechen, welche mich bei Abfassung dieses Werkes, sowie beim Sammeln des Materials hiezu unterstützten, in erster Reihe der tirolischen und vorarlbergischen Geistlichkeit und Lehrerschaft. Ich erwähne aus ersterer im besonderen die hochwürdigen Herren Hans Wimpissinger, Professor an der k. k. Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck (+), Daniel Kuprian, Benefiziat in Längenfeld (+). Albert v. Hörmann, Geistlicher Rat und Dekan von Matrei, Jos. Sporr, Stadtpfarr-Venefiziat in Innsbruck, Anton Auer, Pfarrer in Mühlau, I. Aegndius Mayer, Geistlicher Rat und Dekan in Schruns; ferner aus der Lehrerschaft Herrn Ed. Vittur in Fließ, Alois Vrugger in Nußdorf bei Lienz, Ferdinand Dengg in Finkenberg.

Weiters danke ich den Herren Universitäts-Professoren und langjährigen Freunden Dr. med. Hermann Klotz (+), Dr. Emil v. Ottenthal, Hofrat Dr. Anton Zingerle, Hofrat Dr. Franz R. v. Wieser; weiters Herrn Schulrat Gnmnasial-Professor Joh. Zösmair, Herrn Realschul-Professor Peter Moser in Rovereto, Dr. Ant. Noggler, Professor an der Staats-Lehrerbildungsanstalt in Krems; ebenso muß ich danken Herrn Sektionschef Dr. Eduard Freiherrn von An-der-Lan, Herrn Jos. Stemberger, Gutsbesitzer in Bruneck, Frl. Marie Pfaundter, Privatier, Herrn Konrad Fischnaler, Museums-Kustos, Herrn Alois Pöll, Landes-Lagerhausdirektor a. D., Joh. Innerhofer, Privatier, Jos. Thaler, Staatsbahninspektor a. D., letztere sämtlich in Innsbruck. Zu großem Dank verpflichtet fühle ich mich auch dem k. k. österreichischen Eisenbahn-Ministerium, sowie der Generaldirektion der k. k. priv. Südbahn-Gesellschaft für die mir zum Zwecke meiner Sammeltätigkeit gewährte Fahrbegünstigung.

Der größte Dank aber gebührt meiner lieben Frau, die nicht nur durch ihren Rat das Werk gefördert, sondern auch an der Abfassung desselben tätigen Anteil genommen hat.

Innsbruck, im Mai 1909.

Dr. Ludwig von Hörmann.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. VII - XI.