Ins Moos fahren.

Keine ländliche Faschingsbelustigung bringt die Bewohnerschaft eines Dorfes, besonders die weibliche, in größere Aufregung als der Umzug des "Mooswagens", d. h. die derbkomische Darstellung der Überführung der "alten Jungfern" ins Sterzingermoos. Es ist dies jene einsame Moorgegend in der Nahe von Sterzing, welche vor der Austrocknung im Jahre 1877 als ausgedehnter Sumpfboden nur saures Heu für die Rosse lieferte und an lauen Sommerabenden vom kläglichen Gequaks vieler Tausende von Fröschen und Kröten belebt war. Dahin nun verbannte zur Strafe der Volkswitz alle jene Jungfrauen, welche in freiwilliger oder unfreiwilliger Entsagung ehelicher Freuden ledig blieben. Heißt es ja schon im alten Schnaderhüpfl:

Sag Diendl, was tatst denn,
Wenn mi' treffet 's Los,
Du müßtest halt wandern
Ins Sterzinger Moos!

Bekannt ist auch das landläufige Sprichwort:

Die alten Diendln und die alten Roß'
Kommen aufs (Sterzinger) Moos.

Damit ihnen die Zeit nicht zu lang wird, werden ihnen verschiedene geistreiche Beschäftigungen zugemutet, so z. B. Haarlinset (Leinsamen) aufstößeln, Bachscheiter reitern, d. h. große Holzscheiter sieben, Ameisen ringeln usw. Ihr Beten besteht in einer herzzerreißenden Litanei, bei der die Vorbeterin fingt: "Mi reuts, daß i net g'heirat' hab", worauf die andern antworten: "Mi aa', mi aa'". 1) Das Lamentieren dieser verbannten Vestalinnen soll besonders bei dem dortigen Brückenpfeiler sehr groß sein, wo sie eng gedrängt haufenweis beisammen hocken und mit ihren dürren Armen begehrlich nach den vorüberziehenden Fuhrleuten langen, um dieselben zu sich ins "Moos" zu ziehen. Man sieht schon aus dem Gesagten, daß der verblendete Sinn der Dorfburschen alles erdacht hat, was die ruhige Ergebenheit dieser patentierten Eheverächterinnen dem Gespötte preiszugeben und die Berechtigung ihrer jungfräulichen Existenz zu verdächtigen geeignet ist.

Doch nicht genug, daß solche alberne Unwahrheiten im abendlichen Heimgarten offen ausgeplaudert und durch die zuhorchende Kindermelt der Nachwelt erhalten werden, nicht genug, daß mancher ehrenhaften "übertragenen" Person, die den Lenz des Lebens mit dreißig Jahren bereits überschritten hat, von den Burschen höhnend zugerufen wird, ob sie schon "den Stiftgroschen nach Sterzing geschickt habe, um daselbst einen guten Platz zu erhalten", haben diese milden Burschen auch noch "ein G'sang" gedichtet, in dem die feierliche Überführung der alten Jungfern ins Sterzinger Moos in dramatischer Lebendigkeit geschildert und dem wiehernden Gelächter der ganzen Dorfbewohnerschaft öffentlich überliefert wird. Dieses berühmte Sterzinger-Mooslied, das als poetische Verklärung des genannten Vorganges gelten kann, begleitet in gewissem Sinn die Handlung des "Spieles" als erläuternder Text, wie mir nun gleich sehen werden. Zu dem Zwecke begeben wir uns auf den großen Dorfplatz, wo die Leute dichtgedrängt die Ankunft des "Mooswagens" spannungsvoll erwarten. Ältere Diendln sind wohl wenige zu erblicken; sie haben sich mit ihrem verbissenen Groll in das Hinterstübchen des Hauses geflüchtet, weil sie doch nicht mit eigenen Augen ihre bis ins kleinste nachgeahmte Persönlichkeit zu den lächerlichsten Situationen und Handlungen mißbraucht sehen wollen. Die Spielbuben haben nämlich mit der Spitzfindigkeit eines Pariser Polizisten sich Kleidungsstücke ihrer "Opfer" zu verschaffen gewußt und Sprechart, Manieren und Gebärdenspiel der letzteren aufs genaueste einstudiert, sodaß man die Gefoppten sofort erkennt. Um die Täuschung noch vollständiger zu machen, verstecken sich die verkleideten Burschen in den Häusern der betreffenden alten Jungfern hinter der Türe, bis der Augenblick ihres Auftretens gekommen ist.

Dies dauert nicht lange.

Schon hört man von ferne das gedämpfte Bumbum und Tschintschin der bäuerlichen Musikkapelle, und nicht enden wollendes Gejubel und Gejohle der freudig erregten Jugend verkündet, daß sich der Zug in Bewegung gesetzt habe.

Er sieht wirkungsvoll genug aus.

Umringt von einem Gefolge als "Aufleger" vermummter Burschen und umschwirrt von einem Haufen abenteuerlicher Masken, kommt langsam der "Mooswagen" angefahren. Es ist ein gewöhnlicher Leiterwagen, mit zwei alten Schindmähren bespannt, welche durch derbe Rippenstöße zu einem halbwegs anständigen Gangtempo angespornt werden müssen. An der Spitze des Zuges auf einem schweren Ackergaul brüstet sich stolz der Hauptmann. Auf dem Dorfplatze angelangt, verliest er mit weithin schallender Stimme den "Befehl". Derselbe besagt, daß der "Verwalter" von Sterzing Holz zur Ausbesserung der schadhaft gewordenen Brücke erbeten habe, daß ihm aber der Bescheid geworden sei, Holz könne man nicht entraten, wohl aber genug alte Jungfern, mit denen er die Brücke ausflicken möge. Nach Kundmachung dieses Schreibens liest er unter steigendem Gelächter der Umstehenden langsam die Namen jener alten Jungfern, welche "aufgeladen" werden sollen.

Nun geht der eigentliche Spektakel los. Sofort stürmen die "Aufleger" in das Haus, wo die erst bezeichnete alte Jungfer wohnt, zerren dieselbe - nämlich ihren verkleideten männlichen Stellvertreter - unter dem Halloh der Zuschauer hinter der Tür hervor und laden sie trotz ihres Widerstrebens auf den Wagen. Dann kommt die zweite, die dritte, die vierte u. s. f. an die Reihe, bis alle aufgeladen sind. Natürlich gibt es hier Abwechslung von komischen Szenen genug. Hier nimmt eine herausgeholte alte Jungfer von den Umstehenden rührenden Abschied und fällt ihnen schluchzend um den Hals, dort wehrt eine andere sich mit allen Kräften gegen die Verpackung, wird aber doch schließlich überwältigt und auf den Wagen geladen. Gewöhnlich ist die letzte diejenige, auf welche die Burschen einen "Hauptpick" haben. Sie muß als "Wiesbaum" dienen. Sind alle aufgepackt, so wird das "Moosg'sang" angestimmt, während die vorgeblichen alten Jungfern unter den geziertesten Gebärden vom Wagen herab begierig nach den Männern langen, ihnen Küsse zuwerfen, die Hände ringen u. s. f., welche Liebesausbrüche von den Umstehenden natürlich mit den derbsten Witzen und Anzüglichkeiten erwidert werden.

Dieses berühmte "Sterzingermooslied", das man in ganz Tirol kennt, wird nach einer sehr einfachen Weise gesungen und lautet:

Buab'n gehts her und laßt enk [euch] was sag'n.
Der Befelch der ist kommen, aufs Moos müß'n mer [wir] fahrn,
Wo nehm' mer an' Gratten, der lang ist und broat
Und gar so oft fahrn ist a völlige Noat, [rep.]

Der Verwalter vo Sterzing schreibt außer von Moos
Um a Holz zu der Brugg'n, es versinken ihm d'Roß.
Die Innsbrucker Herrn sein saggerisch kluag:
Holz hab'n s' koans z'graten [entraten], aber Madlan grad gnuag. [rep.]

Der Verwalter bedankt si' und lacht in sein' Huat:
"Sölli ausg'spearte [ausgetrocknete] Hölzer dö höbeten guat,
Dö zahlt ma net teuer, dös ist mir schon recht,
Für's Dutzend an' Sechser bezahl i schon decht (doch)." [rep.]

Die Mauth und das Weggeld ist aa' schon ausg'macht.
Darf Koane was zahlen, sei's Tag oder Nacht,
Kannst überall fahrn, ist ninderst [nirgends] a G'fahr,
Ma verdient si' an' schön Kreuzer, gelts Buab'n, es ist wahr, [rep.]

Wo sein mehrer (mehr) Menscher, bei Berg oder Land? [Talebene]
Es gibt überall Häuf'n, ist a völlige Schand.
Wenn s' junger koan' krieg'n, so ist's um sie gar,
Aft' [dann] gibts sölli zwungene Betschwestern a(b). [rep.]

Wo heb' mer an [heben wir an] aufleg'n, bei Land oder Berg?
Die Großen nach längs und die Kurzen nach zwerch [quer],
Aft mach' mer a Fuder, guat bund'n muß's sein,
Aft fahrn mer wie's Luder durch d'Ellbögn [die alte Salzstraße durchs Wipptal] ein. [rep.]

Dö mit dreißig Jahren, dö pack' mer schon all,
Wenn s' da no' koan' hab'n, aft hab'n s' ka Wahl.
Nur aussi auf'n Gratt'n, und wenn sie aa' rert [weint],
So ist decht zum Wenigsten d'Haut eppas [etwas] wert, [rep.]

Wo nimmt man an' Wiesbaum? Itz fallts mer erst ein,
I wißt nirgends koan bessern, * * [z. B. die Klammer Moidl] muß's sein.
Dö bind' mer drauf auffi, dö ist g'wiß recht bleischwar,
Da wird's halt aft hoaß'n: Dös Fuhrwerk geht rar. [rep.]

Nach Absingung des Liedes fährt der "Mooswagen" langsam zur Schänke, wo das Fastnachtsspiel bei Musik und Tanz seinen Abschluß findet.

Daß diese öffentliche Verspottung der jungfräulichen Würde gerade nicht dienlich ist, die ohnehin etwas reizbare Natur dieser ländlichen Keuschheitspächterinnen gegen die Dorfburschen milder zu stimmen, ist leicht begreiflich. Auch darf man es ihnen gewiß nicht verargen, wenn ihr giftgeschwollener Busen auf Rache sinnt, und sie darin Erleichterung zu finden glauben, daß sie den "Stiel umdrehen" und ihrerseits den alten Junggesellen ähnliche alberne Geschichten und Narreteien andichten, wie letztere ihnen angehängt haben. Sie verbreiten nämlich mit gewohnter Zungenfertigkeit die Legende, die "alten Buben", das sind solche, die ebenfalls nicht zum Heiraten kommen, müßten in der Floiten und Stilup 2) Steinbocke salzen, Felsen abreiben, Nebel schöbern oder am Rosskopf 3) Wolken schieben. Es ist sehr bezeichnend, daß genannter Berg gerade über dem Sterzinger Moos liegt. Im Salzburgischen sollen sich die alten Junggesellen "mit'n Gaubizln" unterhalten, ein Ausdruck, der selbst dem verdienstvollen tirolischen Kulturforscher Peter Moser (Dr. Waldfreund) zu erklären schwer geworden ist. Er hält sie für neckische "Kobolde", es ist aber nichts anderes als unser Kibitz (gavia vulgaris), ein aufgeweckter Vogel, den zu "hüten" allerdings schwer fallen muß 4). Der Hauptverbannungsort der alten Junggesellen ist das "Peteregg" an der Ellbögnerstraße vor Matrei, wo sie den ganzen Tag "alte Jungfern pantschen" und - das Stück einen Groschen - "Kühe plattern" 5) müssen.

Haben die zart besaiteten Vertreterinnen des kanonischen Alters auf diese Weise für die ihnen von den Burschen angedichteten Torheiten Vergeltung geübt, so versuchten sie auch hinsichtlich des beschämenden Steningermoosliedes sich dadurch zu rächen, daß sie den Junggesellen das sogenannte "Peteregg" dichteten, ein Spottlied, das nur eine Nachbildung des Moosgesanges, aber dem weiblichen Tyrtäus nicht sonderlich gelungen ist. Es erzählt "mit wenig Witz und viel Behagen" in zwölf Strophen, daß die alten Junggesellen auf dem Peteregg nicht mehr Platz gefunden, und daß auch der neue Vorschlag, dieselben zur Ausfüllung "aller Löcher und Graben und Bergkluppen" in Tirol zu verwenden, gescheitert sei. Deshalb fällt dem "Verwalter von Peteregg" nach langem Studieren etwas anderes ein. Er erinnert sich nämlich, "daß die Mädeln gern Zucker schlecken".

Der Verwalter der setzt si' und schreibt sein Begehrn,
Aus'n ganzen Tirol zu den Zuckerfabrikherrn,
Er macht da a Bittg'such und legt's ihnen aus.
Ob's aus die alten Buab'n kan' Zucker gab' draus?

Die Antwort fällt ganz befriedigend aus, er möge nur einige Fuder bei der nächsten Gelegenheit schicken.

Sie wöllens probiern auf seine schöne Bitt,
Daß's kan' Zucker abgebet', dös glauben sie nit.

Der Verwalter lacht und

Schickt einige Fuder in die Fabriken aus.
Da hat's halt an' schneeweißen Zucker geb'n draus.
Ja nit nur an' weißen, sondern auch honigsüß
Und itz laufen die Madlen bereits weg ihre Füß,
Sie laufen und kaufen, kost' er was er will,
Sie schlecken ja Tag und Nacht grad ohne Ziel.

In diesem Ton geht es noch ein paar Strophen fort. Wirklich jammerschade, daß dieses "Hohelied" der Freuden des Junggesellentums nicht gleich dem Sterzinger-Moosgesang zu dramatischer Vorführung gelangt. An effektreichen Szenen wäre kein Mangel. Es existiert übrigens noch ein zweites "Peteregglied", das die spottweise Klage eines alten Junggesellen zum Inhalt hat. Nur eine Strophe daraus als Muster seines hohen Gedankenschwunges:

Aber Gott soll mir a Weibl derschaffen,
War ja weit g'scheiter, er konnts ja leicht toan.
Aber Gott will die Mannerleut strafen.
Weil sie nit bleiben freiwillig alloan.
's Hundert an' Siebner
Die längigsten Trümmer,
Kloandürre no' so viel,
Decht ka Mensch kafen will,
Dös ist a G'spiel.

Zum Schluß will ich noch bemerken, daß man die Sage vom Sterzingermoos auch in Kärnten kennt; auch soll, wie mir mein verstorbener Freund Hans v. Vintler seinerzeit mitteilte, ein neapolitanisches Volkslied gleichen Inhalt mit dem Sterzingermooslied haben.

1) Eine Spielart dieses Zwiegespräches lautet:

I hätt' schon längst ein' g'abb (gehabt), g'habb, g'habb,
Wenn i's nur hätt' g'wagg (gewagt), g'wagg, g'wagg u.s.f.

2) Unwirtliche Seitentäler des hintern Zillertals, in denen vor Zeiten Steinbocke vorkamen und später gehegt wurden, bis Wilderer im Jahre 1706 die letzten wegschossen. Man kann daraus einen Schluß auf das Alter des Liedes ziehen.

3) Auch ein Berg im Unterinntal unweit des Sonnwendjoches bei Brixlegg führt diesen Namen.

4) Auch in der Schweiz müssen die alten Jungfern "aufs Moos Geibitzen hüten"

5) Pantschen und plattern = mit der flachen Hand auf den Alterwertesten schlagen, besonders vom Bestrafen der Kinder.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 18 - 24.