Jugendjahre.
1. Buben und Diendlen.

Wenn wir durch ein Dorf schlendern, das wir ein Jahrzehnt nicht mehr gesehen haben, wie finden wir da alles verändert! Zwar die Häuser bleiben dieselben, solange, bis etwa Sturm und Regen eine Ausbesserung nötig machen oder ein Brand einen Neubau veranlaßt, aber nicht so die Insassen. Der weißhaarige Altkrieger, der sich auf der Hausbank sonnte, ist nicht mehr zu sehen, er schläft drüben auf dem stillen Dorfkirchhof den Schlaf des Gerechten. Der Bauer, der damals noch "fest beim Zeug" war, ist unterdessen grau geworden und die Bäuerin, die eben die volle Muspfanne auf den Dengelstein zur Kühlung setzt, hantiert auch nicht mehr so flink umher wie vor Zeiten. "Hans, Seppel"! ruft sie zur Tenne hinauf. Zwei tannenschlanke stattliche Burschen werden sichtbar mit vor Lebenskraft strotzenden Gliedern und übermütig blitzenden Augen. Ist's möglich? sollen das die wilden Rangen sein, die mit ins Gesicht hängenden Haaren und abgefärbten "gepflasterten" Hosen auf der Gasse und im Anger herumtobten? Und wo ist denn das kleine blonde Moidele? Richtig, da kommt sie schon, ein dralles schelmisches Diendl mit ein Paar Schwarzkirschenaugen über den runden Wangen und mit kräftigen, sonnverbrannten Armen.

Man sieht es den jungen Leuten an, daß ihnen der Ernst des Lebens, der in Gestalt der Arbeit bereits an sie herangetreten ist, noch nicht viel zu schaffen macht. Und doch muß sowohl der "Bua" als das "Diendl" schon tüchtig angreifen, besonders bei wenig begüterten Bauern und in ärmeren Gegenden, wie z. B. in Oberinntal und dessen Seitentälern. Der Sohn vertritt da gewissermaßen die Stelle des Knechtes, die Tochter jene der Dirn. In gesegneten Landstrichen und bei wohlhabenden Bauern ist das allerdings anders. Da verrichten die erwachsenen Kinder des Hauses meist nur jene Arbeiten, die ihnen angenehm sind und wenig Mühe kosten. Eine reiche Bauerntochter nimmt lieber Strickstrumpf und Nähterei zur Hand oder hilft allenfalls der Mutter in der Küche, statt sich auf dem Felde draußen von der Sonne abbrennen zu lassen. Auch der Sohn greift beileibe keine Mistgabel an und ist viel öfter auf der Kegelbahn oder in der nahen Stadt zu finden als in Stall und Tenne. Höchstens daß er mit dem Vieh zur Alm hinauffährt, um oben in der schönen Bergwelt mit den Hirten ein paar Tage zu verbummeln. Die Wirtschaft liegt dem einstigen Erben noch wenig am Herzen, wohl aber ganz andere Dinge: Robeln 1), Scheibenschießen und Wildern, Musizieren, Tanzen und vor allem die schmucken Diendeln.

Wo irgend etwas "los ist", im Fasching, am Kirchtag, bei einer Hochzeit, sind allemal die Burschen, seien sie nun reichere Bauernsöhne oder Knechte, die Hauptpersonen dabei. In ihnen, als in der Blüte des Volkes, kommt das eigentliche Volksleben da zum Ausdruck, darum sind sie in den meisten Fällen die Träger der Sitten und Gebräuche. Denken wir nur z. B. an die Belustigungen, Scherze und Maskeraden der Faschingstage. Die Burschen sind die Veranstalter und Darsteller des Schemenschlagens, des Perchten- und Huttlerlaufens, des Block- und Grätziehens und wie diese Faßnachtsspiele alle heißen. Schon wochenlang vorher bei abendlichen Zusammenkünften im Wirtshause und im Heimgarten heckt ihre urwüchsige Einbildungskraft allerlei derbe Schwänke aus; was diesem nicht einfallt, erdenkt ein anderer. Die Vorbereitungen erregen oft mehr Spaß und Gelächter als die beabsichtigte Hetze selbst. Da der Witz derselben gewöhnlich darauf hinauslauft, alles Anstößige und Lächerliche, das im Dorfe vorgefallen, öffentlich zu geiseln, so merken sich die Burschen alles derartige auf und ein findiger Kopf bringt es in schnurrige Reime oder Schnaderhüpfeln. Besonders böswillige alte Jungfern und hochfahrende Diendeln, auf welche die Burschen einen "Pick" haben, kommen da übel weg. Andere sind bemüht, die abenteuerlichsten Masken anzufertigen. Selbstverständlich wird alles ins tiefste Geheimnis gehüllt, bis endlich das Dorf am unsinnigen Pfinstag oder Faschingsdienstag mit dem tollen Aufzug überrascht wird, der noch lange in die Fasten hinein zu reden und zu lachen gibt. Die rechte Aschermittwochstimmung will bei dem jungen Volk nicht Platz greifen. Erstlich muß der liebe Fasching, der so manchen lustigen Tag brachte, mit feierlichen Zeremonien "begraben" werden, dann wendet sich die Aufmerksamkeit der kommenden schönen Jahreszeit zu, welche durch zahlreiche uralte Gebräuche eingeleitet und begrüßt wird, deren Ausführung sämtlich den Dorfbuben obliegt. So ist das "Langes(Lenz)wecken" im Vinschgau, das "Kornaufwecken" im Ulten üblich, dem in Unterinntal das "Grasausläuten" entspricht. Die schönste und verbreitetste derartige Sitte ist aber das Scheibenschlagen am ersten Fastensonntag. Die Burschen sind voll Ehrgeiz und Wetteifer, die Scheiben in schönem, kunstgerechtem Bogen vom Hügel ins Tal hinabzuschwingen, und derjenige, dem der kühnste Wurf gelungen, brüstet sich nicht wenig damit. Drunten im Tal aber schauen die Diendeln zu und warten, die eine voll Freude, die andere mit bangem Herzklopfen, ob und von wem ihr eine Scheibe geschlagen wird. Manchmal schlägt ein erboster Bursche seinem ungetreuen Schatz eine "Schimpfscheibe"; die Betreffende möchte sich vor Scham in die Erde verkriechen. Da gibt es nicht selten Täuschung und Verdruß und manches Mädchen sinnt schon jetzt auf ein recht bissiges Ostereiverslein, um es auf ein rotes Ei zu schreiben und dem bewußten Burschen zu schenken.

Bald ist sie da, die fröhliche Osterzeit, und mit ihr ein Hauptvergnügen der Burschen: das "Ostereierfahren", dessen wir schon beim Osterfeste ausführlich gedachten. Bei diesem närrischen Brauch werden alle Hausgeräte, deren man habhaft werden kann, versteckt, vertragen und auf die widersinnigste Art zusammengestellt, und nichts macht den mutwilligen Tätern mehr Spaß, als wenn sich einer, den der Schabernak arg betroffen, braun und blau ärgert. Ein Seitenstück zu diesen Possen ist das "Madlenbaden" am ersten Mai, das in Vinschgau Brauch ist und wobei die arglos des Weges kommenden Mädchen eingefangen und in den nächsten Bach oder Brunnentrog zu unfreiwilligem Bade eingetaucht werden.

Der vorschreitende Sommer beschäftigt dann die männliche und weibliche Jugend mehr auf dem Felde, wenigstens, wie bereits gesagt, den ärmeren Teil derselben. Der reiche Bauernsohn hilft nur dort, wo es ihm zugleich Unterhaltung macht, z. B. beim Heuen, Dreschen, beim Almauftrieb, auf den Bergmähdern. Sonst spielt er mehr den Aufseher als den Mithelfer der Dienstleute und macht sich los, wenn er kann. Sehr häufig findet man ihn mit ein paar Kameraden im Wirtshause auf der Kegelbahn, Das Kegelschieben ist eine der beliebtesten Vergnügungen sowohl der Burschen als der Männer, die je nach Vorschrift der Sitte stets in getrennten Partien spielen, was manchem jungen Ehemann, der mit seinen früheren Spielgenossen nun nicht mehr "mittun" kann, einen heimlichen Seufzer kostet. Viele Stunden verbummeln auch die Burschen zu zweien und mehreren in Wald und Feld, wobei sie sich ihre Freuden und Leiden erzählen und im Vorbeigehen mit jedem frischen Diendl anbandeln, das sicher nicht ungeneckt vorbeikommt. Die Mädchen sind aber gewöhnlich auch nicht um Antwort verlegen, sondern geben Spott und Scherz tapfer zurück.

Das Diendlmustern und Diendltrutzen ist besonders am Sonntag nach dem vormittägigen Gottesdienste im Schwange. Da drängen die Burschen schon nach dem letzten Segengeklingel ins Freie, rotten sich auf dem Kirchplatz zusammen und stellen sich so auf, daß gewiß keine der schmucken Beterinnen ungeschoren vorbeikommt. Da wird bekrittelt von der Hutquaste und dem blonden Zopf bis zum weißen Strumpf und Schuh und werden jeder, die heimlich kichernd vorbeihuscht, ein paar spitzige Worte angehängt. Auf der Hausbank, wo man jeden Sommerabend sitzt und heimgartet, übt sie dann Wiedervergeltung an dem Burschen und hänselt ihn, bis es ihm zu arg wird und er ein Schnaderhüpfel anstimmt oder einen kecken Jodler. An den lauen Abenden, wenn die Rosen und der Flieder im Garten duften und Wiese und Feld in voller Entfaltung prangen, da hört man es aus allen Ecken des Dorfes singen und klingen bis spät in die Nacht hinein. Jedes Dorf, vorzüglich im fröhlichen Unterinntal, hat seine eigenen "Singer", bestehend aus den angesehensten Burschen.

Allabendlich finden sich alle oder einige derselben zusammen, sei es auf der Kegelbahn im Wirtsgarten oder auf der Hausbank eines Gehöftes, in dem ein paar hübsche Diendeln wohnen, und geben da ihre Lieder zum Besten oder ziehen singend durch das Dorf. Diese Volkslieder sind teils mundartlich gedichtet, teils haben sie schriftdeutschen Text, der allerdings oft mit fürchterlicher Verballhornung wiedergegeben wird. So hört man z. B. beim Anfangsverse des beliebten Liedes: "Die Berge werfen ab der Mäntel Hermelin" gewöhnlich: "Die Berge werfen ab der Männer Harmonie". Die lustigen Burschen kümmert es wenig, was sie singen, sie wollen nur ihrem Frohsinn Luft machen und wenn sie eine irgendwo gehörte Weise nicht ganz gut zu treffen vermögen, so ergänzen sie sich selbst das Fehlende dazu. Die Zusammensetzung eines solchen Chores ist übrigens ganz eigentümlich und besteht etwa nicht, wie der gewöhnliche Männergesang aus Tenor und den entsprechenden tiefern Stimmen, sondern der Träger der Melodie, der "Vorsinger" singt im Fistelton Sopran, während ihn die andern begleiten. In der Nähe klingt dies schneidend, von ferne aber macht es sich ganz gut.

Wenn es gegen die Fronleichnamszeit geht, gesellen sich zu diesem Liederklange auch noch andere musikalische Übungen. Aus jenem Hause tönt die Flöte, in einem zweiten probiert ein Horn einen schwierigen Gang oder bläst eine schmetternde Trompete. Es gilt nämlich einen neuen Marsch für den "Umgang" einzuüben, zu welchem Behufe die Musikbande, deren fast jedes Dorf eine besitzt, sich einige Sonnabende nacheinander im Schulhause versammelt. Fronleichnam ist für die Dorfjugend immer ein wichtiger Tag, für den sowohl Burschen als Mädchen ihr Äußeres so vorteilhaft als möglich herauszuputzen trachten. Es gelingt ihnen auch. Besonders schmuck sehen die Teilnehmer der Musikbande und der Schützenkompagnie aus. Man sehe nur einmal einen solchen kraftvollen Burschen in seiner kleidsamen Schützentracht. Die kurzen schwarzen Hosen, weißen Strümpfe, die gestickte Leibbinde, die grünen oder roten Hosenträger und die offene Lodenjoppe stehen ihm ausgezeichnet und werden noch gehoben durch den schwarzen spitzen Hut mit der kecken weißen Hahnenfeder und dem Buschen aus roten Nelken und Rosmarin, den ihm sein Schatz hinaufgesteckt. Auch die übrigen Burschen staffieren sich mit ihrer schon etwas neuzeitigen Kleidung so hübsch, als es geht, heraus. Der "Buschen" fehlt bei keinem. Bei der Fronleichnamsprozession bilden sie eine selbständige Körperschaft. Jedes Dorf hat nämlich seinen "Buebmerbund" und "Madlerbund", für welche der Pfarrer oder Kooperator, der ja auch zum ersteren gehört, einen Vorstand und eine Vorsteherin wählt. Diese ordnen im Verein mit der Geistlichkeit die Fronleichnamsprozession und andere feierliche Umgänge, indem sie diejenigen bestimmen, der die "Buebmerfahne" und den "Buebmerkranz" - einen Blumenaufsatz auf einem Polster - zu halten hat.

Auf der Fahne prangt das Bild eines Heiligen als Patron des Bundes, z. B. des heiligen Johannes oder Joseph. Diese Fahnen sind oft sehr schwer und das Tragen derselben erfordert große Kunst und Übung, besonders bei heftigem Wind. Der Schaft steckt in einem ledernen Riemen, den der Bursche um den Leib geschnallt hat, während zwei Kameraden rechts und links gehen und mittelst der Windschnüre die Fahne, deren Umschwanken den Träger niederreißen würde, in der rechten Richtung erhalten. Es gibt aber auch hie und da einen Burschen, der die Fahne selbst beim stärksten Wind frei zu tragen vermag. Ein solcher war z. B. der sogenannte Dores in Wilten. Ein kräftiger, geschickter Fahnenträger zu sein, gilt natürlich als große Ehre.

Die Jungfrauen haben auf dem Labrum, welches die Sittsamste der ganzen Schar statt der Fahne vorträgt, meistens die "Unbefleckte" gemalt. Eine zweite trägt als nicht minder große Auszeichnung den "Madelkranz". Die Mädchen nehmen sich, mit allenfallsiger Ausnahme von einer oder der anderen, die bereits das "kanonische" Alter hinter sich hat, schmuck genug aus in ihrem Festtagsputz und mit dem grünen Kranz auf den breiten Flechten. Nur glaube man ja nicht, daß eine Dorfschöne keine Putzkünste anwende. Manche schnürt sich wespendünn und gebraucht ein Dutzend Schönheitsmittel, um ihre Haut weiß und fein zu machen.

Der Fronleichnamstag ist übrigens nicht der einzige Glanzpunkt, den der Sommer für das junge Volk aufweist. An vielen Orten findet um die Sonnwende das Scheibenschlagen statt, was sich in den sternklaren Sommernächten besonders gut ausnimmt. Die beginnende Heu- und Kornernte macht den Festen ein Ende. Nach einiger Zeit geht es hinauf auf die Bergmähder, da bleibt gewiß kein lustiger Bursch und kein flinkes Diendel zurück, denn da droben auf den grünen Wiesen geht es nach vollbrachter Arbeit fröhlich zu, da wird gesungen, getanzt und gejuchzt, daß die Berge widerhallen. Ein kecker Steiger holt sich bei dieser Gelegenheit Rauten oder Edelweiß und bringt es seinem Schatz oder steckt es neben die rote Nelke auf feinen Hut, um damit am nächsten Sonntag zu prunken.

Liegt das Dorf in der Nähe einer Stadt, so machen sich die Burschen fast jeden Feiertag auf den Weg dorthin. Zu zweien oder mehreren, das Hütl keck auf die Seite gesetzt, schlendern sie durch die Gassen, und, solange sie einen Kreuzer Geld im Sack haben, von einem Wirtshaus ins andere und kommen erst bei einbrechender Dunkelheit heim. Häufig gehen sie auch in eines der umliegenden Dörfer. Mit herausfordernder Haltung pflanzen sie sich an dem Wirtshaustische hin und, sobald ihnen der Wein etwas zu Kopfe steigt, fangen sie an, Trutzlieder zu singen und auf die Burschen des Dorfes zu "stenggen", d. h. zu sticheln. Diese bleiben auch nicht zurück und so gibt es schließlich meist eine Rauferei. Kameraden halten dabei fest zusammen und zwar nicht nur diejenigen, welche das Band der Angehörigkeit an eine Ortschaft verbindet, sondern in erster Linie die "Spezi" (Busenfreunde). Fast jeder Bauernbursche hat seinen Pylades, der ihm durch gleiches Alter und gleichen Sinn besonders zusagt, und zwar wählt er diesen durchaus nicht immer aus seinem Heimatorte. Bei der Gereiztheit der Dörfer gegeneinander, die nicht selten einen unglaublich hohen Grad erreicht, entstehen dadurch oft förmliche Pflichtenzusammenstöße. So kommt es häufig vor, daß mitten in einem eben handgreiflich werdenden Streit ein Bursche mit blitzenden Augen und drohender Miene hinter dem Tische hervorspringt und auf einen andern Burschen der Gegenpartei deutend ruft: "Dem da dürft's nichts anhaben, sonst habt ihr's mit mir zu tun; er ist mein Kamerad!" Übrigens teilt sich jeder größere Ort meist noch weiter in das Ober- und Unterdorf, die bei heimatlichen Angelegenheiten stets einander feindselig gegenüberstehn, gegen fremde Gemeinden aber, ihren inneren Zwist vergessend, sich sofort wieder vereinbaren. Raufszenen kommen besonders bei Hochzeiten und anderen Festen, vorzüglich am Kirchweihtag vor, denn eine solche Lustbarkeit ohne den Schluß einer Rauferei ist für die Bauernburschen, die mit ihrer übersprudelnden Kraft nicht wissen, wohinaus, eine Speise ohne Salz. Man muß indessen derartige Vorgänge nicht immer als bloße Ausbrüche der Roheit auffassen, obwohl deren genug mit unterlaufen. Dies gilt insbesondere von dem vom bloßen Raufen wohl zu unterscheidenden "Robeln", welches als förmliches Kampfspiel nach besonderen Regeln ausgeführt wird. Früher war dasselbe, vorzüglich im Unterinntale, sehr im Schwunge. 2)

Den gleichen Hang wie zum Raufen hat der Tiroler Bauernbursch auch zur Jagd und zum Scheibenschießen. An Sonn- und Feiertagen im Sommer und noch mehr im Herbst hört man es auf jedem Dorfschießstande knallen, wodurch es die Schützen oft zu großer Fertigkeit im Treffen bringen. Der Stutzen ist der liebste Schatz der Burschen, den seine Schießlust nicht selten zum "Wildern" 3) treibt. Wer dieses verbotene Handwerk einmal recht los hat, der läßt es auch meistens sein Lebtag nicht mehr. Das Streichen durch die Bergwälder und im Hochgebirg nach Gemsbock und Auerhahn wird ihm, wie dem Zigeuner das Wandern, zur zweiten Natur. Freilich liegt manch junges Blut da zwischen den bleichen Felsen und manche blühende Dirn hat sich darob schon die Augen rotgeweint, wenn der kecke Liebste sich zerfiel oder von der unbarmherzigen Kugel des Jägers durchbohrt wurde. Eine Unzahl der schönsten Tiroler Volkslieder behandelt den Gegenstand dieses Entweder-oder zwischen dem überlieferten Naturrecht des Älplers auf seine Berge und zwischen dem Gesetz.

Höchst einförmig gestaltet sich das Leben der jungen Leute im Winter. Arbeit gibt es fast keine, wenigstens für jene Bauernsöhne, in deren Hause ein Knecht sich befindet, der das Wenige leicht allein abtut. Die Dirnen spinnen vorzüglich abends beim Heimgarten. Dies ist die Zeit, in der sich alles winterliche Leben zusammenfindet; da wird gescherzt, Zither gespielt, gesungen und getanzt und mancher bäuerliche Roman, wenn auch nicht ganz so poetisch, wie er in Büchern zu lesen ist, entspinnt sich im Halbdunkel einer kienspanerleuchteten Stube. Da entfaltet der gemütliche Heimgarten seinen Zauber, während draußen der halbmeterhohe Schnee die Gehöfte umwallt. In ärmeren Gegenden ist allerdings der Winter auch für die Burschen keine so leichte Zeit. Die schwierige Arbeit des Herabschaffens des Bergheues und Holzes tritt da meist schon gegen Weihnachten ein, ein gefährliches Unternehmen, das schon manchen lebensfrischen Burschen zeitlebens zum Krüppel gemacht oder ihm gar das Leben gekostet hat. Der Schluß des "Fest- und Arbeitsjahres" hat davon ausführlich gehandelt.

1) Ringen, um zu sehen, wer der Stärkere ist.
2) Über das Robeln und Raufen verweise ich auf meine "Tiroler Vollstypen." (Wien. Gerold, S. 11 - 30.)
3) Vergl. "Tiroler Volkstypen". S. 1 - 10.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 329 - 338.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, September 2005.
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