Die Hausordnung.

Die Hausordnung des Bauern ist durch Sitte und hundertjährige Gewohnheit streng geregelt. So hat es der Urahn gemacht und so vererbt es sich wieder auf Kinder und Kindeskinder. Darnach bestimmt sich die Reihenfolge der Haus- und Feldarbeit an den Werktagen und die Erholung an den Feiertagen, die in steter Wiederkehr gleichförmig einander ablösen. Teilweise Abwechslung bringt nur die Jahreszeit mit sich. So steht man z. B. mit dem wachsenden Tage im Frühling auch früher auf und geht früher an die Arbeit, besonders wenn man dringende Geschäfte auf weiter entfernten Grundstücken zu verrichten hat. Trotz diesen Verrückungen und kleinen Veränderungen bleiben sich aber gewisse Vorgänge im Schwanken immer gleich und bilden so zu sagen das Gerüste, an dem sich die bäuerliche Tagesordnung hält. Solche Punkte sind: die Frühmesse, das "Neunern", das Mittagessen, der Feierabend, das Nachtmahl, der Abendrosenkranz und der Heimgarten. Mit Ausnahme des letzteren ist also Beten und Essen die Ordnung für die Tagesverrichtungen.

Aufgestanden wird stets früh. Als gewöhnliche Zeit kann man für den Winter halb 6 Uhr, für den Sommer halb 5 Uhr annehmen, also bald nachdem in der Kirche Ave Maria geläutet wird, was im Sommer um vier Uhr, im Winter um halb fünf Uhr geschieht. Wenn es anders sein kann, geht alles in die Frühmesse, die in Anbetracht der dringenden Arbeit im Sommer sehr zeitlich abgehalten wird. Im Winter ist es noch stockdunkle Nacht, wenn man mit Laterne oder Kienspan ins "Rorate" eilt. Auf entlegenen Höfen verbietet sich der Kirchenbesuch an Werktagen natürlich von selbst, ebenfalls beim "Bergfahren", weil man da mitten in der kalten Winternacht zum beschwerlichen Gange auf die beschneiten Höhen aufbrechen muß, und beim Heuen auf den Bergmähdern oder weit entfernten Wiesen. Zu solchen Zeiten steht man schon beim ersten Morgengrauen auf und die rüstig ausschreitenden Arbeiter können noch genug Sterne am Frühhimmel verblassen sehen.

Hausvater und Hausmutter sind stets zuerst auf den Beinen. Der Bauer weckt Söhne und Knechte, welche sofort die Stallarbeit: Melken, Tränken und Füttern besorgen. Mit dem Anzug ist man schnell fertig, und das "Zwagnen" (Waschen), wenn es überhaupt vorgenommen wird, geschieht einfach beim Brunnen. Währenddessen kocht die Bäuerin das Frühmahl, das fast überall in Brennsuppe, die meistens mit Zieger gewürzt wird, und "Mus" 1) besteht. Auch Kaffee kommt immer häufiger auf den Tisch, wenn auch nicht für alle, so doch für die Bäuerin und den Bauern, der gern ein paar Löffel Schnaps in das Gebräu gießt, um es besser munden zu machen. Dann gehen Knechte und Dirnen auf das Feld zur Arbeit, mit ihnen der Bauer, sei es auch nur zur Aufsicht. Die Bäuerin bleibt daheim und versorgt die Kinderstube, die Hennen, die Schweine, kehrt aus, wäscht ab usw. Dabei hilft ihr die heranwachsende Tochter, die, sobald sie nur einigermaßen selbständig ist, bei den kleinen Geschwistern "Kindsdirn" machen muß. Erstere hat noch viele andere Geschäfte, die sie vornimmt, wann sie gerade am leichtesten Zeit findet, so z. B. das Butterschlägeln, Schmalzeinsieden, Schottenabkochen, Ziegerbereiten. Beiläufig alle zwei Wochen bäckt sie mit Hilfe einer Dirn im großen Backofen Brot, Nach bestimmten Zeitabschnitten wird große Hauswäsche gehalten. Der weitbauchige, eingemauerte Kupferkessel zum "Sechteln" 2) befindet sich entweder im Backofen oder in der Küche. Kleinere Wäschestücke, Schürzen, Tücheln, Strümpfe usw. wäscht die Bäuerin nach Bedarf. Vergessen dürfen wir auch nicht das Feiertaghemd, das vor jedem Feiertag von den Ehehalten gewaschen werden muß.

1) Brei aus Mehl, Milch oder Wasser und Schmalz
2) Sechteln - in der Lauge abbrühen

Bei einigermaßen schwerer Arbeit erhalten die Dienstboten einen sogenannten "Neuner", Halbmittag, auch Untermahl genannt, ein zweites Frühstück, das, wie schon der Name sagt beiläufig um 9 Uhr vormittags eingenommen wird. Dabei ißt man sehr Verschiedenes, je nach Geschmack und Umständen, meist Brot und Käse. Drescher z. B. vertragen ganz gut eine schmalzige Speise, ohne deshalb den Appetit für's Mittagessen einzubüßen. Wenn irgend ein Handwerker, der Schuster, Schneider, Zimmermann usw. im Hause "auf der Stör" arbeitet, so bringt ihm die Hausfrau, wie wir hörten, um 9 Uhr ein Glas Kirschbranntwein, einen Teller voll frisch geschlagener Butter, einen starken Hauskäse und einen Laib Brot. Haben die Leute in der Sonnenhitze auf dem Felde zu tun, so schickt die Bäuerin frische Milch und Brot hinaus. Sie stellt dazu eines ihrer Kinder an, welches das kühlende Getränk in einem verschlossenen Handkessel trägt. Ist sie allein, so muß sie es selbst überbringen. Gewöhnlich kehren die Arbeiter um 11 Uhr zum Mittagessen heim. Ist aber das Feld oder die Wiese allzuweit vom Hause entfernt, so wird auch die Hauptmahlzeit hinausgebracht. Die Bäuerin benützt dazu ein eigenes, ringsum von Leisten eingerahmtes Brett, auf das sie die Speisen stellt, um es dann auf dem Kopfe schwebend zu tragen. Im Winter macht das spätere Aufstehen den "Neuner" überflüssig. Doch nicht überall; an vielen Orten müssen die Dirnen von Michaeli angefangen schon um 4 Uhr das Bett verlassen, um in der Stube bis 9 Uhr abends zu spinnen. Die Großdirn muß dabei die erste sein, die andern wecken und den "Vormiß" (Frühstück) kochen. Wohl zur Entschädigung für diese andauernde ermüdende Arbeit bekommen die Dienstboten den sogenannten "Lichtbraten", d. h. ein besseres Mittagsmahl, wobei freilich der männliche Teil derselben ganz ohne Verdienst mithält.

Beim Essen wird fest an der althergebrachten Ordnung gehalten. Die Großdirn deckt den großen Eßtisch in der Stube, allerdings nicht so fein, wie wir Städter es gewohnt sind. Ein grobes Tischtuch ist der einzige Luxus, Servietten gibt es keine, Gabeln und Messer sind, da man selten Fleisch ißt, meist überflüssig. Zum Ausschöpfen der Suppe stellt sie vor jeden Sitz einen Holz- oder Zinnteller und legt den eisernen Löffel, für jedes den eigenen, daneben. Dann holt sie frisches Wasser im irdenen Kruge vom Brunnen und setzt denselben auf die Bank zum gemeinsamen Daraustrinken. Hat sie die Suppe aufgetragen, was pünktlich zur anberaumten Stunde geschieht, so ruft sie die Leute zusammen. An vielen Orten, vorzüglich im Unterinntal, gibt die Eßglocke, die sich in einem eigenen Türmchen auf dem Dachfirst befindet, das Zeichen zum Mittagsmahl. Sind alle versammelt, so betet man laut das Vaterunser und wohl auch das alte schöne Tischgebet:

"Herr aus Liebe Deiner wollen wir jetzt essen,
Dein bitt'res Leiden und Sterben nicht vergessen.
Dein heiliges Kreuz sei unser Tisch,
Dein heiliger Leib ist uns're Speis,
Die heiligen drei Nägel sind uns're Fisch',
Dein rosenfarbs Blut ist unser Trank.
Mein Gott, wir sagen Dir den wärmsten Dank,
Für all' Dein' väterliche Speis und Trank
Und für Alles, was Du uns gibst und zuschickst.
Und uns nutz und gut ist zu Seel' und Leib."

In der Meraner Gegend betet man:

"Lieber Herr Gott im Himmel, g'seg'n uns Speis und Trank zu unserm Wohlsein für ein lang's Leben und für die Ewigkeit. Amen."

Bei Tisch hat jedes seinen bestimmten Platz. Die Ordnung, wie man sich setzt, ergibt sich teils aus Überlieferung, teils aus Bequemlichkeitsrücksichten. So sitzt z. B. die "Kuchlin" oder die Dirne, die das Essen herein- und hinausträgt, vorn an der Ecke. Heikler ist die eigentliche Essordnung. Zuerst langt der Großknecht in die Schüssel, ihm folgen die andern, je nach ihrem Range. Bei den untern Dienststellen, den "Kühbuben" ist es nicht mehr so heikel und jeder tunkt, sobald er kann, den Löffel ein. Aber nicht nur Platz und Rangordnung ist fest bestimmt, sondern es herrscht auch im Essen selbst eine bestimmte Ordnung, die mit äußerster Genauigkeit festgehalten wird. Da darf etwa nicht jeder zulangen, wie und wo er eben will und so etwa einem andern die fette Butter wegfischen. Jeder hat seinen festabgegrenzten Bezirk, den er nicht überschreiten darf. Diese Berücksichtigung des zugemessenen Gebietes kommt besonders beim Musessen in Betracht, da über dem dicken Milchbrei die goldgelbe Flut der süßen Butter ausgegossen ruht, also jeder Grenzverletzung ein Abrinnen dieser schmackhaften und nahrhaften Flüssigkeit zum Nachteil des Nachbars veranlaßt. Leider ereignet sich nur zu oft, daß ein gewissenloser Angrenzer einen weniger schlauen Tischgenossen durch heimliche Anlage eines Kanals oder andere unerlaubte Machenschaften, daß er z. B. mit seinem Löffel eine "Tschött" (Grube) macht, um den Butteranteil bringt, was nicht selten ein kleines Balgzwischenspiel, sicher nicht auf Kosten der Übrigen, zur Folge hat.

Über die Kost selbst ließe sich sehr viel sagen, aber unmöglich in bestimmten Regeln angeben. In jedem Tale kocht man anders, je nach dem Gebrauche und den Bodenverhältnissen, welche entweder Getreidebau oder Viehzucht und Alpenwirtschaft begünstigen. Die wohlhabendere Bäuerin spart nicht mit Schmalz, Butter und Eiern, während die ärmere nur magere Kost bereiten kann. In Südtirol fehlt hiebei nie der Wein, wenn es auch meist nur schlechter "Hausleg" ist. Die Speckknödel kommen in der Woche zwei- bis dreimal auf den Tisch, sicher aber am Sonntage, dazu Sauerkraut und ein Stück geselchten Fleisches darauf. Samstag abends, sowie an jedem Feierabend bäckt man Germküchel, vor hohen Festtagen, vorzüglich vor dem Kirchtag, gefüllte Krapfen. Vom pustertalischen Küchenzettel sagt das Volkslied:

"Lustig sein mir (wir) Pusterer Buiben,
Mir tanzen auf ein Fuiße,
Die ganze Woch' a Frigelesupp'
Sonntags a haberne Muise."

Letzteres, Habermus, ist nämlich die Nationalspeise der Pusterer. Die Kinder nehmen, sobald sie Zähne haben, an dem gemeinsamen Male teil, nur die allerkleinsten werden mit einem dicken Mehlbrei abgefüttert.

Ist das Essen vorbei, der Löffel am Tischtuch abgewischt, und das kurze Dankgebet mit dem "englischen Gruß" gesprochen, so macht der Bauer, wenn es anders die Zeit erlaubt, ein Schläfchen auf der Ofenbank. Ein Knecht oder eine Dirne tränkt und füttert indessen die Kühe, was im Sommer bald geschehen ist, da mit Ausnahme von drei oder vier "Heimkühen" das sämtliche Vieh auf der Alpe ist. Hierauf geht man wieder hinaus auf das Feld. An Arbeit ist nie Mangel; sind die eigenen Grundstücke besorgt, so hilft man auf denen der Nachbarn. Man weiß, daß man einander bedarf, darum hält man mit Gefälligkeiten nicht zurück. Beim Heuen, beim Korneinführen, beim Dreschen helfen meist auch die Dienstboten des Nachbarn mit, um die man früher freundlich ersucht hat. Die Maschinen, die jetzt immer häufiger in Gebrauch kommen, ändern nichts an der altväterischen Sitte, weil zu ihrer Handhabung ebenfalls Kräfte erforderlich sind. So vergeht die Zeit bis zur "Marende" (Vesperbrot), die gewöhnlich in Milch und Brot besteht, und von da bis zum Avemarialäuten, das mit allmählicher Vorrückung der Zeit im Sommer um sieben, im Winter um halb sechs Uhr das Zeichen zum Feierabend gibt. Abends wird darnach noch mit dem "Sterbeglöcklein" geläutet, um zum Gebet für die Verstorbenen zu mahnen. In dem nun mit Innsbruck vereinigten Dorfe Wilten, wo das ganze Jahr hindurch um sieben Uhr abends das Avemarialäuten vom Turme tönt, führte dieses noch vor kurzem den Namen "Hußausläuten". Ebenso ist letzteres in Schwaz 1) und Kitzbühel gebräuchlich. Dann wandern die Arbeiter nach Hause, wo schon die Pfanne voll schmalzigen Türkenbreis im Flur zur Kühlung steht oder der Duft von "Schmalzgebackenem" aus der Küche dringt. Auf gut und viel Essen hält der Bauer etwas: "Wer nuit (nichts) zum Össa ist, ist vo' (auch) nuit zur Arbet", sagt der Oberinntaler.

1) In Schwaz wird das "Hußausläuten" in Beziehung zum tschechischen Ketzer Huß (richtiger Hus) gebracht, dessen Lehre bei dm Bergknappen Eingang gefunden hatte. Es dürfte wohl eher ursprünglich ein Zeichen für die in der Kirche verweilenden Andächtigen gewesen sein, daß das "Hus" nun gesperrt werde. So bedeutete auch das "Hußausläuten", das in früherer Zeit in Meran von Michäli bis Ostern um 7 Uhr abends mit der "Weinglocke" gegeben wurde, daß sich nun die Gäste aus den Wirtshäusern und Schenken zu entfernen hätten. Es hieß davon auch "Weinausläuten".

Hat man sich gesättigt, und ist das sämtliche Vieh getränkt und versorgt, so bringt man vorerst die kleinen Kinder zu Bette. Der Vater oder die Mutter segnet sie, besprengt sie mit Weihwasser und zeichnet ihnen mit dem Daumen der rechten Hand das Kreuz unter einem kleinen Gebetlein auf die Stirne. Dann geht der Hausvater in die Stube, nimmt den "Ruster" (noster), einen an gelben Messingdraht gefassten Rosenkranz mit grossen "Grallen" herab, der gewöhnlich am Fenster oder neben dem Weihbrunnkrüglein hängt, kniet mit den anderen auf die neben der Stubenwand hinlaufende Bank, stützt die Arme auf das Fensterbrett und betet mit lauter Stimme den Rosenkranz vor. Die andern knien ebenfalls an den Fenstern, jedes auf einem gewohnten und bestimmten Platz, und beten zu den Fenstern hinaus. Nach dem Rosenkranz werden oft noch zweimal soviel Vaterunser gebetet, zu "Hülf und Trost der armen Seelen im Fegfeuer", besonders der verstorbenen Verwandten, dann zu Ehren verschiedener Heiligen und Patrone, von deren Fürbitte man geistliches und irdisches Wohl erwartet, so z. B. des heiligen Florian, des heiligen Leonhard als "großen Viehpatrons", des heiligen Wendelin und Gallus, welche das Haus und Gut beschützen sollen. Der Gruß: "Gelobt sei Jesus Christus! - In Ewigkeit Amen" bildet den Schluß des Gebetes.

Noch ist es zu früh zum Schlafengehen, nur die größeren Kinder, die mitgebetet haben, werden in die Schlafkammer geschickt. Die Bäuerin hat noch manches in der Küche zu schaffen, wo ihr die Dirnen helfen, der Bauer oder der Knecht eine Sense zu "dengeln". Ist alle Arbeit getan, so waschen sich die Mannsleute am Brunnen die Füße. Am Tag beim angestrengten Schaffen auf dem Felde, oft in glühender Sonnenhitze, geht jeder schweigsam seinen Verrichtungen nach, aber am Abend da liebt man eine gemütliche Plauderstunde, den "Heimgarten", von dem wir im nächsten Abschnitte hören werden.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 382 - 389.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, Oktober 2005.
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