2. Fensterlen und Gass'lgeh'n.

Ein Hauptereignis im Leben des Bauernburschen bildet natürlich das Verhältnis zum anderen Geschlechte. Wenn der erste Flaum ober der Lippe sproßt, spuken ihm die saubern Diendln schon gewaltig im Kopfe herum. Zwar vorderhand, solange das Herz noch frei ist, erstreckt sich die Anteilnahme noch auf alle, die ein paar rote Wangen und glänzende Augen haben, und macht sich vorzüglich im Necken und Trutzen kund, das beim Heimgarten, beim sonntäglichen Kirchgang, auf dem Tanzplatz und bei sonstigen ähnlichen Gelegenheiten Stoff genug zum Lachen und Schäkern gibt. Ernster wird die Sache schon beim nächtlichen sogenannten "Gass'lgehen" und "Fensterlen". Denn, wenn auch diese Sitte häufig als bloßes Scherzspiel ausgeübt wird oder die Rotte der übrigen Burschen nur als Gefolge eines einzelnen Liebhabers sich darstellt, so bekommt doch jeder einen Vorgeschmack von Liebe und Liebesseligkeit, der ihn bestimmt, auch bald nach einem Schatz auszuschauen.

Das Gass'lgehen und Fensterlen mit all den dabei vorkommenden Abenteuern, Schwänken, tollen Streichen und den nicht selten folgenden Eifersuchts- und Racheszenen bildet die Einleitung zum bedeutendsten Abschnitt im Herzensromane jedes Burschen, wie tausend Lieder und Schnaderhüpfln beweisen, die davon zu singen und zu sagen wissen. Brauch ist es zu allen Zeiten, im Sommer und Winter, bei hellem Mondscheine und stockfinsterem Nebel. Gewöhnlich wählt man schöne helle Nächte:

Heut' scheint der Mond so schön.
Heut' muß i's Gass'l geh'n! . . .

In vielen Tälern ist das Fensterlen an bestimmte Tage gebunden. So erlaubt es die Sitte im Unterinntal am Mittwoch, Freitag und Sonntag, aber nicht am Pfinstag (Donnerstag), während die Pustertaler gerade diesen Tag mit Vorliebe wählen. In der Scharniz und im Zillertale darf nur am Freitag "gefensterlt" weiden, vielleicht eine alte Erinnerung an den der Liebesgöttin Freia geheiligten Tag. Schauen wir uns einmal eine solche Szene an.

Im Dorfe ist alles längst zur Ruhe gegangen. Kein Laut ist mehr hörbar, kein Fenster zeigt mehr ein Licht, nur aus der Wirtshaustüre strahlt noch ein matter Schein und aus dem Hausflur schallen johlende Stimmen. "Geht's decht (doch) amol hoam, Bueb'n!" läßt sich die mahnende Stimme der Frau Wirtin vernehmen. Wirklich findet sie geneigtere Ohren, als man glauben möchte. Gutwillig überschreiten die Burschen die Schwelle und hinter ihnen wird die Türe geschlossen und verriegelt. Aber mit dem "Hoamgeh'n" hat es seine eigene Bewandtnis.

An' Sprung über's Gass'l,
An' Iuchezer d'rauf,
An' Schnaggler an's Fenster,
Schön's Diendl mach' auf!

singt einer und damit ist das Losungswort für heute gegeben. Nur der Juchezer bleibt im Halse stecken, denn das Dorf hat auch seine Polizei in Gestalt des Nachtwächters und wenn der die Gaßlbuben erwischt, so gibt es schlimme Geschichten. Deshalb trabt die Rotte hübsch still und sittsam ihrer Wege.

Es geht hinauf ins Oberdorf zum Büchelbauern. Der hat seit Lichtmeß eine junge Dirn, sauber wie ein Zwiebelapfel und flink mit der Zunge wie eine Elster. Ihr gilt das erste der heute zu bringenden Ständchen. Bald ist man am Ziel angekommen. Keine Maus rührt sich; der Bauer und die Bäuerin schlafen in der vorderen Kammer wie Murmeltiere. Die Kathl aber hat ihre "Liegerstatt" rückwärts unter dem Dache. Rasch wird nun die Leiter aus der "Schupfe" geholt, wenn sie nicht schon von irgend woher mitgebracht wurde und unter dem Fenster aufgestellt. Der beste "Sprecher" unter den Gass'lbuben klettert hinauf. An Häusern, wo ein Laubengang unter dem Fenster ist, erklimmt er nur diesen und geht längs desselben herum. Ein eigentümliches lautes "Schnaggeln" mit der Zunge weckt die Schläferin und nun beginnt der Reimstreit:

Tschipre, tschapre, her über die Apre (schneefreie' Wiese),
Her über Stühl' und Bänk', hops Diendl, heißt's dabei n enk (euch)?

Alles bleibt still. Die Schicklichkeit will, daß das Mädchen auf die erste Frage nicht antwortet. Manche recht "G'schnappige" kann sich aber dennoch nicht enthalten zu erwidern:

Da heißt's nit bei n enk.
Da heißt's nit bei uns.
Du herzig schön's Büb'l,
Du fragst umesunst.

Wird dem Burschen keine Antwort zu teil, so klopft er noch einmal an:

Tschipre, tschapre, her über die Apre,
Her über die Eben, hops Diendl, bist aa' no' beim Leben?

Ein schüchternes Diendl schweigt abermals und läßt den Burschen fortfahren:

Diendl, hast du Knödel g'essen
Oder sein dir deine Reden versessen?

Da endlich läßt sich die Stimme der Angesprochenen vernehmen, aber es ist durchaus kein süßer Willkomm, den sie dem nächtlichen Besucher bietet:

Eh wird der Taxbaum Äpfel tragen.
Eh du von mir wirst eine Antwort erfragen.

Dies ist noch der freundlichste Empfang für einen Gass'lbuben. Oft wird er auf weit derbere Art abgefertigt, wie z. B.:

Halt Bua, i kenn' di' schon,
Bist von St. Paul,
Bist a Zwei-Kreuzer-Bua,
Du halt dein Maul.

Er macht sich indes wenig daraus, denn er weiß schon, daß es dem Mädchen mit dieser von der Sitte vorgeschriebenen Abweisung nicht so ernst ist. Er fängt daher getrost an, seinen langen "Gass'lreim" herzusagen. Diese "Gass'lreime" sind ähnlich den Hochzeitssprüchen voll derben Humors und werden natürlich nach Gutdünken umgemodelt, verkürzt oder verlängert. Mancher Bursche hat ein bewundernswertes Geschick in dieser Stegreifdichtung und setzt die Scherzreime oft Viertel-, ja halbe Stunden lang fort, während ihm oben das gefeierte Diendl und unten seine Kameraden zuhören. Gin pustertalischer Gaßlreim beginnt folgendermaßen:

Jetzt komm' i her von der Vintl,
Hab' a Köpfl wie a Hündl,
A Bartl wie a Geiß,
Gitsche (Mädchen) wißt ihr, wie i heiß'?
Komm' i her von der Pfaitleit'n
Da steht mei' Häusl auf der untern Seit'n
Hint ohi (hinab) sein neunhundert Tagbau 1)
Wachst nix als lauter gut's Zoig drau',
Vorum (vorn herum) Distel und Dörn
Sapraments Weiberleut, thuet's heut gar nix hör'n ...

In demselben Tone geht der Spruch weiter, indem er eine scherzhafte Werbung darstellend, alles Hab und Gut des vorgeschützten Freiers in obiger humoristischer Weise ausführlich beschreibt. Den Schluß des gereimten Vortrages macht jedenfalls eine Anspielung auf die den Gass'lbuben gebührende Schnapsspende.

Das Diendl läßt sich auch nicht zweimal daran mahnen, sie weiß, daß ein Weigern einen Heidenspektakel zur Folge haben würde. In der Regel hat jede schon für solche Fälle eine Flasche Branntwein nebst einem eigens dazu gebackenen Brotwecken im Kasten oder im - Bett aufbewahrt. Sie schlieft also in Jacke und Kittel und reicht Schnaps und Brot durch das Fenster dem Burschen hinaus, der sich nun mit seinen Kameraden an dem feurigen Naß - meist ein Viertel oder gar ein halber Liter - gütlich tut. Hat das Mädchen aber kein Getränk bei sich, so muß sie hinunter, um die Bäuerin aufzuwecken, die ihr dann dasselbe verabfolgt. In solchen Fällen bezahlen die Burschen den Branntwein, während sonst das Mädchen selbstverständlich nichts annimmt. Manche schöne Dirne verbraucht auf diese Weise ihren ganzen Jahreslohn.

Daß dem Bauern solch nächtliche Ruhestörungen höchst unangenehm sind, und wäre es auch nur deshalb, weil durch das Nachtwachen die Arbeitskraft der Dirnen gemindert wird, läßt sich denken.

Wenn der Mun (Mond) so schön blickt,
Is's für's Diendl a Glück
Und für'n Bauern a Schad,
Der a schön's Diendl hat.

Er ist daher den Gass'lbuben, obgleich er vielleicht in seiner Jugend selbst der ärgste gewesen, spinnefeind und versucht sie mit allen möglichen Verteidigungsmitteln zu verjagen. Das geht aber nicht so leicht; denn außer das Haus darf er sich nicht wagen, wenn es ihm nicht gehen soll, wie jenem ehrsamen Hausvater, der voll Zorn im Hemde herauslief, um den auf der Leiter stehenden Burschen mit der Peitsche zu behandeln, und den die übrigen Gass'lbuben mit Brennesseln so zerhieben, daß er am folgenden Tage jämmerlich zerschunden das Bett hüten mußte! Wenn ein Bauer recht schimpft und flucht, so tun es ihm die Burschen erst recht zum Trotz. Leider bleibt es infolgedessen nicht immer beim bloßen, wenn auch derben Scherz, sondern führt hie und da zu wirklichen Taten des Hasses und der Rache. So wurde z. B. im November 1871 von drei Burschen, welche zu einem Mädchen gingen, einer vom Bauer durch's Fenster heraus erschossen. Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Jahre 1887 zu Pfünders, wo eine Bäuerin einen Burschen, der zu einer Magd "fensterlen" ging, durch einen Schrotschuß schwer verletzte. Wie mir übrigens bereits gesehen haben, hat die Liebe mit dem "Gass'lgehen" sehr wenig zu tun. Allerdings befindet sich manchmal der Geliebte des Mädchens, dem das Ständchen gilt, unter der Rotte, aber steigt nicht zum Fenster und macht nicht den Sprecher, sondern verhält sich ganz still und ruhig. Fast immer geht die lustige Schar zu mehreren Häusern, wo schmucke junge Diendln sich befinden, führt überall dasselbe Spiel auf und trinkt Schnaps, so daß die Burschen schließlich ziemlich beduselt sind.

Eine ganz eigene Bedeutung hat das Gass'lgehen zu Niederndorf im Pustertale, sowie das Fensterlen in manchen unterinntalischen Orten. Es erscheint dort als eine Art Volksgericht, indem die "Gass'lbuben zu den Fenstern berüchtigter Weibspersonen kommen und dort Spottreime aufsagen. Auch verüben sie sonstige Streiche, wie Verstellen von Wagen und Leitern, oder sie vergreifen sich an Leuten, die ihnen nicht zu Gesichte stehen oder sich irgend etwas zu schulden kommen ließen. So sollen sie einmal den Pfarrer von B. ins Wasser getaucht haben. Sie entsprechen in dieser Hinsicht den sogenannten "Nachtraupen" des Ultnertales, von denen noch unten die Rede sein wird.

Deshalb geht auch ein kluger Bursche den Gass'lbuben sorgsam aus dem Wege und schleicht nachts lieber allein zu seinem Mädchen.

Dieses eigentliche "Fensterlen", in Kärnten und Obersteiermark "Brenteln", in Vorarlberg "Leaterlen" (Leiterlen) genannt, hat etwas ungemein Poetisches, besonders wenn es in den Schranken der Schicklichkeit bleibt. Übrigens hält sich der Bursch auch bei diesem nächtlichen Einzelbesuch an die oben beschriebene Form. Im Zillertal trägt er seiner Geliebten erst das "Haggeln" an. Die Mädchen dieser lebenslustigen Gegend nehmen es, nebenbei bemerkt, mit der Bekleidung nicht gar engherzig- - Stittsamer ist die Pustertalerin. Da wird am Fenster "g'hoangert" (geheimgartet) von diesem und von jenem; Liebenden geht ja bekanntlich der Stoff nie aus. Daneben wird Schnaps oder Rosoglio getrunken. Stehen aber die beiden bereits in innigem Einverständnis und ist das Fenster groß genug, so schlüpft der Bursch hinein in die Kammer. Selten daß eine sagt:

"Geh weg von mei'm Fenster,
Geh weg von mei'm Bett,
I bin a jung's Diendl,
Bin bald überred't,"

Das Fensterlen, so prosaische Folgen es oft hat, macht dennoch den Hauptinhalt der ländlichen Jugendpoesie aus. Eine Unzahl der gemütvollsten und zartesten Volksliedchen behandelt alle Stufen dieses Liebeskapitels, so daß man den ganzen Verlauf desselben leicht aus Schnaderhüpfln zusammensetzen könnte, von der schüchternen Anfrage des Burschen, der um Einlaß bittet, angefangen bis zu seiner Erhörung. Freilich geht eine solche bäuerliche Liebschaft mit der Zeit meistens auf irgend eine Weise auseinander; nur selten gelangt eine zum Abschluß der Ehe. Denn in den wenigsten Fällen, besonders in jenen Tälern, wo der älteste Sohn das väterliche Anwesen erbt, während die Geschwister sich in die Fremde verdingen, ist der Liebhaber im Stande seine Geliebte zu heiraten. Der Hausvater und Dienstherr ist daher auf eine solche aussichtslose Liebschaft seiner Dirn oder gar Tochter sehr erboßt und sucht dieselbe, wenn er sie einmal erspäht hat, streng zu hintertreiben. Zudem fürchtet er die Folgen. Er weiß:

Der Guggu im Wald
Ist nit jung und nit alt
Und zwei blutjunge Leut'
Vergagglen (vergehen) sich bald.

Aber das Sprichwort sagt: "Eher hütet man eine Star Flöhe als zwei Verliebte." Die Hindernisse erhöhen nur den Reiz. Der bellende bissige Haushund und der zornige mit Stock und Ochsenziemer bewaffnete Bauer sind nicht einmal die einzigen Gefahren, die ein Liebhaber beim "Fensterlen" zu bestehen hat. Sobald die andern Dorfburschen sein Geheimnis erfahren, stellen sie sich ihm feindlich gegenüber und spielen ihm allerlei Possen. Entweder sie bestreuen den ganzen Weg von seinem Hause bis zu dem des Mädchens mit Sägspänen oder sie passen ihm auf und beschütten ihn mit Wasser oder sie spannen ein Seil im Zickzack über den Weg und jagen ihn bis er fällt, worauf sie ihn mit Ruß besudeln.

Im Tale Ulten bei Meran will es die Sitte, daß, wie jeder Skandal, so auch wenn ein Bursche nachts bei seinem Mädchen ertappt wurde, es öffentlich gerügt werde. Es ist dieses das Amt der Burschen, die, wie bereits früher bemerkt, den Namen "Nachtraupen" tragen. Der Schuldige wird nachts eingefangen und mit einer Schelle um den Hals vor alle Häuser geführt. Vor jedem muß er dreimal mit der Schelle läuten und dann fragen: "Seid's wach?" Auf die bejahende Antwort von innen fährt er fort: "Ich bin der N. N., man hat mich bei meinem Mädel N. N. da und da aufgegriffen." Schließlich muß er das Credo und ein Vaterunser beten.

Bei anderen Gelegenheiten kann der Liebhaber wieder fest auf den Beistand seiner Kameraden rechnen. Wird er inne, daß ein anderer Bursche auch zu seinem untreuen Mädchen gehe - man heißt dies "ins Gäu geh'n" - dann paßt er dem Nebenbuhler mit einigen Gesellen auf, um denselben "auszunehmen". Dieses besteht darin, daß man ihn auf einen Schlitten legt oder auf eine andere Art in seine Heimat befördert und dort, sei es Winter oder Sommer, in den Brunnen untertaucht, worauf man ihn freiläßt. Ein bedeutend erschwerender Umstand ist es, wenn der Bursche einer fremden Gemeinde angehört. Die Burschen einer Ortschaft wollen es durchaus nicht dulden, daß ein dahin gehöriges Mädchen einen Geliebten aus einem andern Dorfe hat. Sie verschwören sich gegen den Eindringling und suchen mit List und Gewalt seiner habhaft zu werden. Gelingt ihnen dies, so wild er "geästet", "gescheitert" oder "gewafnet", d. h. mit Ästen, Scheitern oder Rasenstücken beworfen. Überhaupt gestalten sich solche Szenen nicht selten zu groben Tätlichkeiten und das Fensterlen hatte schon manchen Totschlag zur Folge.

1) Das Tagbau - Ackermaß, soviel als man mit 4 Pferden an einem Tage bestellen kann. Im Zillertal 5492 qm.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 338 - 346.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Isabella Richrath, September 2005.
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