Von Kufstein zu den Seen im Unteren Inntal

Vom Bahnhof gelangt man zunächst auf die Innbrücke, von welcher sich ein Ausblick nicht nur auf den großen Strom, der jäh unter ihr hindurchschießt, sondern auch auf das grüne Tal mit den grauen Bergen nach Nord und Süd eröffnet. Besonders auffallend gestalten sich in dem Bilde die blau dämmernden Berge auf dem halben Wege zwischen hier und Innsbruck in der Brixlegger Gegend, im Norden der Kaiser und die almenlustigen Grenzhüter jenseits Niederndorf, gegen Westen aber der Pentling, der als grauer, doch oben noch mit Fichten bewachsener Kegel sich hier ein sehr stattliches Ansehen gibt. Die vielen schönen grünen Seen, die ringsum ganz in der Nähe diese Felsen und Wälder widerspiegeln, ahnt man nicht, wenn man auf der Brücke über dem schnellen, grünen Strom steht.

Kufstein unterscheidet sich nach außen wie nach innen wesentlich von anderen gleichgroßen und noch viel größeren Städten. Das Leben ist reger und betriebsamer, die Geselligkeit launiger als anderswo, und dumpfe Kopfhängerei wird weniger gefunden. Der Vereine ist keine geringe Anzahl. Die mannigfaltige, reiche, quellenfrische Natur, der Zufluß von Fremden, die Leichtigkeit des Verkehres unterstützen die Einwirkung, welche sichtbar auch von der Nachbarschaft eines Landes hervorgebracht wird, welchem immerhin größere Rührigkeit zuzuschreiben ist. Wer die Annehmlichkeiten, welche das bayerische Gebirg, und diejenigen, welche Tirol bietet - und dieselben unterscheiden sich in mancher Hinsicht - vereint genießen und dabei nicht an einem einsamen Orte sich aufhalten will, der wähle Kufstein als Sommerfrischort. Den malerischen Bau der alten Feste Geroldseck kann man jetzt ruhiger betrachten als in früheren Jahren, wo er manch trefflichen Mann in jahrelangem Dunkel hielt, welcher das Verbrechen begangen hatte, den Machthabern zu mißfallen. Sehr erheiternd sogar wirkt der Anblick des großen Franz-Josef-Forts, von welchem, nachdem es sechs Zehntteile einer Million Gulden verschlungen, die Steine verkauft werden. Eine gelbseidene Fahne, welche die Bestimmung hatte, die Anwesenheit hoher Würdenträger von den Zinnen des Franz-Josef-Forts herab anzudeuten, fand die Polizei als Prunkkleid eines stadtbekannten Frauenzimmers, welches sich jedoch die Mühe nicht hatte verdrießen lassen, den Doppeladler herauszuschneiden.

Ein Denkmal anderer Art befindet sich auf dem Kirchhof, für das es keinen besseren Ort gibt als einen Punkt an der Grenze von Deutschland und dem deutschen Österreich. Friedrich List ist hier begraben, ein Mann, der in seinem Geiste das Netz der deutschen Schienenwege entwarf und welcher es versuchte, durch die Anbahnung eines massenhaften Verkehres die Menschen eines Volksstammes einander zu nähern. Wohl dringt jetzt in sein Grab der Laut von schrillenden Erzbecken auf dem Dampfwagen, aber auch dieser saust noch immer an einem Schlagbaum vorbei. Es ist freilich keine gräfliche Ballade auf dem Hügel niedergelegt worden, unter welchem er schläft. Aber ein ehrenwerter Tiroler Dichter hat dem Kämpfer einen Nachruf geweiht, in welchem die schönen Worte stehen:

Es schlug nach Dir das Todterfüllte Eisen,
Und Deines Herzens warme Fluten sprangen,
Dies letzte Stück an Deutschland anzuschweißen.

Der schönen Wege gibt es von Kufstein aus gar viele. Vier schöne Alpenseen liegen an und auf dem Gebirge, zu denen wir wegen Überfüllung des Stoffes im Buche nicht ohne Unterscheidung wandeln können: der Hechtsee, der Hintersteiner See, der Tiersee und der See von Maria Stein. Der belohnendste Weg aber von allen führt an dem Wasserfall von Sparchen in die Wände hinter dem Kaiser hinein und über die Hochalpe nach Walchsee hinüber. Dort erblickt man den Kalk in großen Bildungen und erfreut sich an dem vielgestaltigen Wasser und Grün.

Quelle: Das Österreichische Seenbuch, Heinrich Noë, München 1867, S. 247 - 249.