Das is ja ois dalog'n.

Es war zu Kufstein im Eggergarten um die Maienzeit, als die Wildkastanienbäume weiße und rote Blütenkerzen trugen. Die Stunde dieses Maitages muß ich aber noch genauer angeben: also jene Zeit, in der der Österreicher das erstemal im Tage ein Gollasch ißt und irgend ein Erzeugnis weiland Königs Gambrim dazu genehmigt. Die schmucke Pepi bediente und stellte das Fragment des Roten Meeres, das draußen im Küchenhafen brodelte, vor mich hin. An meinem Tische saß ein alter, grimm-bärtiger Grenzförster, der aus einem kurzen Nagel paffte und Bergaurikeln am Jägerhut trug. Er las die „Ostdeutsche Rundschau", und zwar wußte ich genau, was er las, denn ich hatte die Geschichte ja selber geschrieben.

Aber er schien von meinem gedruckten „Gehirnschwitz" nicht befriedigt, denn er legte die Zeitung ganz zornig aus der Hand und sagte:

„Däs is ja ois dalog'n . . ."

War es die sittliche Entrüstung über die Lüge überhaupt oder war es das Gefühlsmoment, daß die Standesvorrechte eines Försters verletzt sind, wenn auch ein Nichtweidmann sich erlaubt, erfrecht, zu lügen, was seine heftige Erregung veranlaßte, das kann ich nicht feststellen, ich kann nur beteuern, daß ich froh war in dem Gedanken, der Förster ahne den neben ihm sitzenden, jagdrechtverletzenden Verbrecher nicht. Ich gab mir im Stillen selber schon den Titel „Forstfrevler", obwohl ich mich eines bewußten Eingriffes in die försterlichen Privilegien nicht schuldig wußte. Aber es konnte ja unbewußt geschehen sein, deshalb regte sich mein Schriftstellergewissen und ich fragte den bitterbösen, lederhosigen Schnauzbart, was denn erlogen sei.

„Da had oana a G'schichd g'schrieb'n — „Da Zöllna" hoaßd's — dea goa nix woaß und vastehd davu."

Ich ließ mir also die Sache vom Förster erzählen — und um meinen Fehler gut zu machen, um aufrichtig zu sein, gebe ich diese Art Widerruf denselben Lesern, damit sie ersehen, wie schändlich ich sie hintergangen habe.

***

Das Tor des Paradieses war lange schon zugefallen und die Feigenblätter erhielten von Jahr zu Jahr eine größere Verbreitung. Auch die schöne Zeit, in der die ersten Menschen einander die Tiere des Waldes und die Früchte des Feldes als Nahrung neidlos vergönnten, war schon vorbei, vom AItare Abels hatte schon das Blut zum Himmel emporgeraucht, und Kain war der erste, der sich Eigentum suchte.

Nun mußte sich also der liebe Gott — damals hieß er Jahve — bequemen, das Land unter die Stämme aufzuteilen. — Jetzt muß er auch schon das Meer sondern und später einmal muß er den Völkern noch die Luft auf einer Weltgerichtswage zuwägen.

Solche Teilungen kamen schon viele vor, seit die Erde steht: und so oft Gott wieder das Schiedsrichteramt übernimmt, nennt man das eine Epoche der Weltgeschichte.

Die ersten, die bei der Aufteilung auf dem Plane erschienen, waren natürlich die Semiten; die Juden, Cham und Japhet hatten sich schon ferne Wohnstätten gesucht, aber die Semiten verlangten mit der ihnen angeborenen Bescheidenheit gleich das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließt. Natürlich hatten sie auch dieses Land gleich zugrunde gerichtet und glaubten nun, nachdem ein Stammesgenosse in Aegypten Minister wurde und dortselbst einen schwunghaften Kornhandel betrieb, dort bessere Geschäfte zu machen; verließen also das gelobte Land, steckten die Milch- und Honigproduktion auf und spekulierten als Körndljuden und machten in den Fleischtöpfen von Aegypten.

Aber die Aegypter waren böse Antisemiten und verlangten, daß die Juden auch arbeiten sollten, was diesen aus angeborener Scheu äußerst unangenehm war. Nach allen möglichen Schwindeleien von Taschenspielerkunststücken — damals die Plagen genannt — die deshalb mißglückten, weil die Aegypter lieber alle anderen Plagen als die einzige große Judenplage ertrugen, entschloß sich das auserwählte Volk, auszuwandern. Das Meer wich vor den Juden zurück, um sich nicht zu verunreinigen. Natürlich nahmen die Juden all ihr Eigentum und das, was sie als solches betrachteten, mit sich. Das war eine der ersten Weltteilungen, Heute aber sind die Juden mit diesen Teilungen nicht mehr einverstanden und verlangen gleich die ganze Welt für sich, die sie auch schon so ziemlich im Sacke haben.

Der liebe Gott ist gern inkognito: — diejenigen, welche dieses Inkognito lüften wollen, heißen die Menschen Philosophen, und sie gehören zu den nutzlosesten Erzeugnissen der ganzen Schöpfung, von der sie so wenig Ahnung haben, daß sie nicht einmal wissen, daß sie selber zu ihr gehören, sich von ihr nicht losreißen können, also nicht über ihr stehen und nicht über sie urteilen können. Ein einziger, ein alter Grieche, hat es eingesehen, daß ihm der Punkt fehle, die Welt zu bewegen. Das war aber gar kein richtiger Philosoph, denn von den richtigen Philosophen hat ein jeder seinen eigenen Punkt, von dem aus er die Welt zu bewegen — meint.

Und so ist's auch mit dem Inkognito Gottes, von dem sie nicht begreifen können, daß er sich bald Osiris nennt und in Riesengräbern Menschenleiber vor dem Fraße der Jahrtausende schützt — daß er als Ormuzd die Menschen in steingemeißelten Sonnenhymnen auf ewigen Felsen zu sich emporjubeln sieht, daß er als Pan den Menschen die einfachste und tiefste Weisheit verkündet: „Mensch, sei Mensch!", daß er als Janus in der Vereinigung von Werden und Vergehen den wahren Frieden findet, daß er als Wotan zu froststarrender Julzeit das verlorene Sonnenkind aus dem grimmen Hrimthursenheim holt, daß er als Nazarener in dem Worte: „Liebe Deine Feinde" den Tod zur Seligkeit wandelt, daß er als Logos über Roms Trümmern die Gothen-Herrlichkeit errichtet... daß ... daß ... daß, so geht es fort durch die ganze Weltgeschichte.

Und immer wieder in einem anderen Inkognito, weder von Philosophen, noch von vernünftig denkenden Menschen verstanden, nahm er seine Weltteilungen vor.

Ich will nur einige kurz erwähnen.

Rom ist mit der Weltbeherrschungsidee erblich belastet. Es unterscheidet sich von Juda heute dadurch, daß es öffentlich herrschen will als legitimer Herrscher, mit der dreifachen Krone am Haupte, eigentlich sollte sie fünffach sein, denn es wurden seither zwei neue Weltteile, Amerika und Australien, entdeckt, während Juda bescheidener ist, zufrieden ist, wenn es nur die Apanagen der ganzen Welt bezieht. Aber der Herrgott schob einen Riegel vor, der Herrscher, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, sah diese — geistestot am Ende seines Lebens — karg durch ein Klosterfenster hereinschimmern. Vor den Hammerschlägen an der Wittenberger Kirche bebte seine Krone, er starb und nach ihm kam Gottes Sintflut wieder, ein dreißigjähriger Krieg im Namen der Religion der Liebe.

Hatte es vielleicht den Grund, warum der vierte und fünfte Kronreif der Tiara fehlen, daß Rom in der neuen Welt nicht viel dreinzureden hat?

Noch ein paar Jahrhunderte weiter, da teilen drei Herrscher das Königreich des weihen Aars - Polen. Der liebe Gott ließ es geschehen und lächelte. Heute haben alle drei genug daran.

Dann gab der liebe Gott der Welt Napoleon, und dieser konnte die Hitzegrade an den Pyramiden und im Kreml zu Moskau mit einander vergleichen, er konnte darüber nachdenken, als Gott sprach: Die Welt war Dir zu klein, St. Helena ist groß genug ... Schließlich war das noch viel zu groß, und es genügte ein Sarg, nicht viel länger und breiter als ein Mensch.

Insbesondere schlimm mit diesen Teilungen hat es der liebe Gott mit den Deutschen, die nie zufrieden sind, wenn sie groß und mächtig sind. Bei Sedan hat nach Gottes Wort eine große, heilige Teilung stattgefunden, und siehe, der bescheidenste aller Staaten war Reuß ältere Linie, das mit seinem Maulwurfhaufen von Fürstentum zufrieden war, dafür sich aber das unveräußerliche Recht ausbedang, mit Preußen, wann, wo und wie oft es wolle, Krieg führen zu dürfen.

Der liebe Gott lächelte dazu und ließ ihm seinen Willen.

Das Albion, das man nicht ungern das perfide nennt, wünscht in allerletzter Zeit, daß es nicht in, sondern an Transvaal zugrunde gehe... Der liebe Gott lächelte, dachte sich: aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und lieh ihm seinen Willen.

(Fortsetzung folgt.)

Jetzt schaut einmal her, was dieser Renk zusammenlügt! Bis zu diesem England betreffenden herzaufrichtigen „Fortsetzung folgt" hat er alles geschwefelt. Kein Wort hat ihm davon der Grenzförster gesagt . . .

Der Grenzförster hatte einfach erklärt, daß der Ausdruck „Boarsäu" nicht, wie in Renks Erzählung es heißt, daher stamme, weil der gute Hirt, als er zur bayrischen Grenze kam, um das verlorene Lamm zu suchen, vom österreichischen Grenzwächter zurückgewiesen wurde, mit der Begründung, daß da draußen lauter Sau und keine Lämmer seien, sondern ...

Sondern von einer solchen Herrgottsteilung, und zwar zwischen Tirolern und Bayern:

Der Tiroler wollte Erdäpfel, Wein, Edelweiß und eine genügende Anzahl der hochwürdigen Geistlichkeit.

Die Bayern wollten: Bier, Wein — deshalb erhielten sie die Pfalz-— Radi und ebenfalls eine genügende Anzahl der hochwürdigen Geistlichkeit.

Alles ging ohne Streit ab.

Der Bayer mit der Frauenturmmütze in der richtigen Münchner Brauknechttracht und der Tiroler, von dessen einstmaliger Adamitentracht nur noch die „nacketen Knie" übrig geblieben waren, vertrugen sich ganz gut, bis auf einen Punkt.

Der Bayer verlangte nämlich noch einmal so viel Pfaffen wie der Tiroler, weil das Land doppelt so groß sei.

Lange stritten sich die beiden, bis endlich der Tiroler die richtige Lösung im friedlichen Sinne fand:

„Lieber Herrgott, geb'n's eahm nur, was er will — bei uns wachsen's von selber nach."

Und der liebe Gott lächelte und nickte und gewährte dem Bayern das gewünschte Pfaffenkontingent mit den Worten: „Es sei!"

Der Tiroler aber verstand: „Oes Sau!"

Und daher stammt also der Name „Sau" für die Bayern — nicht von ihrer Dicke, nicht von der Zöllnergeschichte, wie ich — pater peccavi — früher erzählt habe. Also war in der früheren Erzählung „Ois dalog'n."

Der Name ist: vox populi, vox dei

Vox dei: „Es sei" — vox populi: „Des Säu."

***

Aber die Herrgottsteilung hatte als Folge, daß der Dichter sein Verslein mit Recht sowohl auf Bayern als auf Tirol anwenden könnte:

Es sind Tiroler Schützen
Im Schießen unerreicht,
Wo Alles klerikal ist.
Trifft man das Schwarze leicht.

Quelle: Anton Renk, Kraut und Ruebn. Kleine Geschichten aus Tirol. Linz 1904, S. 94 - 104
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, September 2005.
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