Die Bäckerseele.
Das Dorf Mutters gehört kirchlich zum Seelsorgegebiet des Prämonstratenserklosters Wilten. Also die Folge davon ist, daß der Pfarrer einen weißen Habit anhat und einen weißen Hut auf. Zwischen beiden ist gewöhnlich ein roter Kopf, denn in den Kellern des behäbigen Klosters sind allerlei rubinenfunkelnde Säftlein aufbewahrt von gar seltsamem Glänze, der nicht bloß durch die durchsichtigen Flaschen bricht, sondern auch durch kompaktere Behälter als da sind: menschliche Körper, auch wenn die Säftlein schon getrunken, von innen heraus aufleuchtet. Eine weitere Folge ist, daß die Bauern von Mutters zu einem solchen Wiltener Herren beichten gehen, falls sie es nicht vorziehen, ihr Sündenpäcklein bei einem unbekannten Geistlichen abzuladen, weil sie sich vor dem hochwürdigen Herrn Pfarrer ihrer menschlichen Mängel und Schwächen halt gar zu sehr schämen.
Am letzten Sonntag hatte der Herr Pfarrer den Spruch erklärt: "Du mußt im Schweiße Deines Angesichtes Dein Brot verdienen", heute - es war ein Bauernfeiertag - saß Hochwürden in der Wirtsstube und hatte das Geschäft des Brotverdienens augenscheinlich schon hinter sich, obwohl vom Schweiß der Arbeit noch nicht viel zu bemerken war. Aber es mußte doch schon vorbei sein, denn eben brach er ein Brot auseinander, um die Bratlbrühe auszutunken.
Wo ein Brot ist, müssen nicht bloß Leute sein, die es verdienen und verzehren, sondern auch solche, die es herstellen. Nun meint vielleicht ein Ganzgescheiter, also Bäcker müssen da sein? Oha, das ist in Tirol noch gar nicht so ausgemacht, da gibt es Dörfer genug, in denen kein Bäcker ist, da jeder Bauer seine Brotlaibe selber bäckt.
"Schon wieder so eine elendige Bäckerseel!" knurrte unwillig Hochwürden Herr Pfarrer, und bald wäre seinem heiligen Munde ein unheiliges Wort entfahren.
Nun sind wir aber schon weiter - wenn eine Bäckerseele da ist, muß auch ein Bäcker da sein, der eine hat und - eine auf dem Gewissen hat. Es ist eigentlich für einen geistlichen Herrn kein richtiger Ausdruck, da man unter Bäckerseele die leere Höhlung im Brot versteht, also das Nichts, während die Seele doch - ja, das weiß der Herr Pfarrer selber viel besser als wir.
Die Bäckerseele im Brot ist der Ausfluß der höchst verderblichen Bäckerseele, die im Leib des Bäckers steckt, und welcher den Zweck hat, dem genießenden Menschen eingeschlossene Luft anstatt nahrhaften Brotes zu übermitteln.
Die Augenbrillen des Pfarrers begannen zu funkeln, denn die Bäckerseele,
welche diese Bäckerseele auf dem Gewissen hatte, saß da ganz
in seiner Nähe, umgeben von einem fast ebenso mächtigen Korpus,
wie Hochwürden sein eigen nannte. Denn die Bäckerseelen haben
die Eigenschaft, die Bäcker dick und fett zu machen.
Draußen verloderte der Abend rot an dem Dreigipfel der "Saile", welche in steinernem Streben die gothischen Altarformen der "Waldrasterspitze" 'nachzuahmen sich bemüht, doch nie deren Formenschönheit erreicht. Durch die rotgoldenen Wellen des Abendlichtes klang der zitternde Ton der Betglocke herein, die Bauern und der Pfarrer standen auf und sprachen das Abendgebet und, nachdem es verklungen, ertönte der Abendgruß durch die Stube.
Aber die Gedanken des Pfarrers verweilten noch immer bei der Bäckerseele
und deren fluchwürdigen Urheber, dem er jetzt eins anhängen
wollte.
Also knurrte der Wiltener Priester:
"Bäcker ist noch kein einziger in den Himmel gekommen."
"Warum denn nit, Hochwürden?" wagte der Bäcker einzuwenden,
"Da ist der Beweis! Weil Ihr mit Euern Bäckerseelen Jung und
Alt, Arm und Reich, Hoch und Nieder, Mann und Weib, Christlich und Weltlich
betrügt. Da schau das Loch in meinem Paarl an! In der letzten Predigt
hast eh' wieder geschlafen! Der Mensch muß sich im Schweiße
seines Angesichtes sein Brot verdienen, heißt's in der heiligen
Schrift. Und wenn er's getan hat, wenn er verschwitzt und abgearbeitet
kommt und rasten und essen will, dann kommt so ein nixnutziger Bäcker
mit seinem Brot. Kaum beißt der Arbeiter an, hat er nix als Luft
im Maul. Von der Luft kann man nit leben und von den Bäckerseelen
wird niemand fett, außer die Bäcker! Schauts'n an, den Wamstl
da! Heißts epper in der Schrift: Der Mensch soll sich im Schweiße
seines Angesichtes feine Bäckerseelen verdienen? Na, so heißt's
nit. Ihr Bäcker aber verdreht absichtlich das Wort der Schrift zu
Eurem Nutzen und seid also Pharisäer, Irrlehrer und Ketzer! Also
kommt Ihr auch nicht in den Himmel. Ist's nit so?"
"Werd schon so sein, Hochwürden", knuffte der alte Gaißgaggljoggl
beistimmend aus dem fast zahnlosen Munde mit einer aus einem kurzen Pfeifennagel
stammenden Rauchwolke zugleich hervor.
Der Pfarrer war mit sich zufrieden. Nun hatte es der Bäcker!
"Ja, Hochwürden", erwiderte dieser, "z'meist kann's
schon sein, aber einmal ist doch einer in den Himmel kommen."
"Davon ist mir nichts bekannt", meinte der Pfarrer.
"So, nix bekannt? Und grad Ihnen sollt'z bekannt sein, denn der arme
Teufel verdankt seine Seligkeit ja einem Ordensbruder von Ihnen, einem
Wiltener GeistIichen. Vielleicht finden
Sie's in der Klosterg'schicht."
Befriedigt faltete der Pfarrer die Hände und sagte: "Ja, es
sind viele recht fromme, heiligmäßige Männer in unserem
Orden; ein and'rer hätt' einem Bäcken gewiß nit 's goldene
Himmelstor aufgesperrt. Also erzähl', Bäck!"
"Na, mir hat's mei Nahnl erzählt, die hat's in einer alten G'schrift
gelesen. Freilich hat's die alte Nahnl diel schöner erzählen
können, die hat allerhand gewußt von der Schönigkeit der
Himmelstür, von der Musik der heiligen Cäcilia und den Engelsknaben
mit silbernen Flügeln und goldenen Flöten, vom heiligen Petrus
und seinen Schlüsseln, von den Sternen und Goldwolken, aber das wissen
Hochwürden Herr Pfarrer ja eh viel besser; so fang' ich halt an,
ganz einfach so wie wie ich's versteh'."
"Ja, ja, Bäck, erzähl' nur die Geschicht' von meinem gottseligen
Ordensbruder."
Der Bäcker rauchte noch ein paar Züge, spuckte aus und begann
dann:
"Ja, da ist einmal ein Bäck gewesen, der war anders als die
andern, der war ehrlich und recht fromm, hatte recht Maß und Gewicht
und Bäckerseelen gab es bei ihm keine. O, so einen Betrug hätte
er nicht übers Herz gebracht! Und so lebte er mit seinem Weibe schlecht
und recht. Schlecht, weil seine Ehefrau noch böser war als die andern
Weiber und ihm nicht ungern einen Teigpatzen zum Kopf warf. Also der Bäck
trug auch das mit Geduld, bis er das letzte Brotbrett in den Backofen
schob und umfiel und tot war.
Und des ehrlichen Bäcken Seel' flog aufwärts zum Himmel, durch
die Wolken durch, dort, wo sie am rötesten gewesen sind. Dort sind
sie auch immer röter geworden, je höher die Seel' geflogen ist.
Und warum? Weil die Wolken grad vor der goldenen Himmelstür gestanden
sind, vor der nun auch die Seel' angekommen ist. Zaghaft läutete
die arme Seel' am Glockenzug und hörte bald den Petrus mit den Schlüsseln
daherschlurfen und rasseln.
"Wer ist draußen?" fragte eine rauhe Stimme.
"Die arme Seele eines Bäcken."
"Bäcken kommen keine in den Himmel", lautete die Antwort.
"Ich bin aber eine ehrliche Bäckerseel'."
"Das gibt's nit", meinte der heilige Petrus, öffnete aber
doch die Himmelstür ein bißl, so daß die Seel' doch etwas
vom himmlischen Glanz und Herrlichkeit derspeanzelte.
"Wie heißt denn?"
"Jakob Weizenbeck von Wilten."
"Bist mit Gott ausgesöhnt auf die Reis' in die Ewigkeit gegangen?"
"Der Tod hat mir nimmer Zeit lassen, er ist so viel g'schwind und
unverweißt gekommen."
"Sakra, da muß ich wieder im Kontobuch nachschaug'n",
brummelte Petrus, "ist eh umsonst, Bäck kommt ja doch keiner
in den Himmel."
Donnernd ist die Himmelstür in's Schloß gefallen und in banger
Erwartung ist die arme Seel' davor gestanden, wie 's Kind vor--------aber
na, Herr Pfarrer, das schickt sich nit . . .
Jetzt sind ihr freilich and're Gedanken kommen; jetzt hat sie eingesehen,
daß da heroben mit einem andern Maße gemessen wird und daß
es strafhaft sündlicher Hochmut war, auf Erden zu denken, man bekomme
für's bloße Verheiratetsein die Märtyrerkrone im Himmel,
Ferner, daß es ein ganz liebloser Gedanke gewesen sei, den er auf
Erden so oft gehabt und doch nie gebeichtet habe: Wenn nur mei' Frau nit
auch in den Himmel kommt, sonst ist die ganze ewige Ruh' beim Teufel!
Ja, und noch etwas fiel ihm ein .... einmal hatte auch er seiner Frau
einen Teigpatzen nachgeworfen .... doch da ist die Tür wieder aufgegangen
und der Petrus war mit dem Kontobuch des Jakobus Weizenbeck, in dem ein
blaues Stück Nachthimmel als Fließblatt gelegen ist, da.
Nichtig sind alle seine sündhaften Hoffnungen und Wünsche darin
verzeichnet gewesen, auch der nachgeworfene Teigpatzen stand da und daneben
stand mit blutroter Schrift Bäckerseel' geschrieben.
"Ja, wenn Du die Bäckerseel', die sich damals im Streit mit
Deiner Frau in Dein Brot eingeschlichen hat, noch hättest beichten
können, könnt' ich Dich vielleicht einlassen, weil Du sonst
ein ehrlicher Kerl und außerdem verheiratet gewesen bist. So mußt
Du aber noch einmal auf die Erden und mußt dort die Bäckerseel'
beichten; dann laß ich Dich in den Himmel ein."
"O lieber, heiliger Petrus", hat da die Seel' gejammert, "der
Weg ist so viel weit! Haben S' denn gar kein Geistlichen da, bei dem ich
beichten könnt', daß ich nit wieder zurück müßt'."
"Ja", meinte der heilige Petrus", "das könnt'
man schon machen - bei was für Herren hast Du denn gewöhnlich
gebeichtet?"
"Bei den Wiltener Chorherrn", erwiderte schüchtern die
Seele. Der Petrus schloß wieder zu und kam lange, lange nicht, so
daß die Seele schon ganz verzagte. Endlich ist die Tür wieder
aufgegangen; der Petrus sagte: "Weil Du eine ehrliche Haut und noch
dazu verheiratet gewesen bist, laß ich Dich so ohne Beicht' in den
Himmel; - denn Wiltener Geistlichen haben
wir keinen einzigen im Himmel heroben." Seh'n S', Hochwürden
Herr Pfarrer, so ist ein Bäck durch einen Wiltener Geistlichen in
die Seligkeit kommen und ist noch dort . . . aber Wiltener Chorherr ist
seitdem noch immer keiner gekommen!"
"Guten Abend, Herr Pfarrer!" sagte der Bäcker und ging
hinaus in den sternsilbernen Abend.
Quelle: Anton Renk, Kraut und Ruebn. Kleine Geschichten
aus Tirol. Linz 1904, S. 29 - 38.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, September 2005.
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