Kargopolje, Teil 2 - Das hölzerne Wunder von Ljadiny und Saunino. Die „nördlichen Himmel“.
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Kargopolje, 2 - Das hölzerne Wunder von Ljadiny und Saunino. Die „nördlichen Himmel“, Teil 1
Kargopolje, 2 - Das hölzerne Wunder von Ljadiny und Saunino. Die „nördlichen Himmel“, Teil 2


Die so genannten „nördlichen Himmel“ (Sg und Pl möglich) sind eine einmalige kulturelle Erscheinung, die im 17. - 19. Jahrhundert nur im Norden Russlands verbreitet war. Man findet diese Denkmäler immer noch im Archangelsker (über 50), sowie im Murmansker Gebiet und in der Republik Karelien, aber die meisten Denkmäler befinden sich im Kargopoler Bezirk des Archangelsker Gebietes.

Der sogenannte „Himmel“ ist eine hölzerne Zwischendecke in nördlichen Holzkirchen und Kapellen, die in der Regel die Form einer flachen abgestumpften Pyramide hat. Sie besteht aus einzelnen Teilen (Flächen). Die Konstruktion und die Bemalung jeder Fläche sind nach dem Typ einer Ikone gemacht. Vom zentralen Element (meist rund) gehen Dachbalken radial aus, sie bilden das Gerüst des „Himmels“. Die Segmente wurden mit glatten Brettern gefüllt und bemalt, das sind die Flächen. Jede Fläche hat die Form eines Trapezes.

Der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche in Saunino © Oksana Fedotova

Der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche in Saunino, 14.Juni 2008

Unabhängig von der Gesamthöhe des Raumes wurden die „Himmel“ in der Regel als ziemlich niedrige Zwischendecke in den Raum eingezogen. Dabei blieb der größere Teil des Raumes ungenutzt. Diese Eigenheit des Kultbaus hing mit der Besonderheit des Klimas zusammen, denn in den nördlichen Kirchen musste man ständig die Wärme bewahren. Die Höhe des Innenraums in der Johann-Slatoust-Kirche (vom Boden bis zum „Himmel“) beträgt nur 5,7 m bei der Gesamthöhe des Bauwerks 33,7 m. Der „Himmel“ überbrückt eine Spannweite von 8 m.

Mit dem „Himmel“ wurde der Hauptraum der Kirche überspannt, der für die Betenden gedacht war. Aber es gab auch Fälle, wo er noch zusätzlich für die Überspannung des Altarraums und der Seitenapsiden benutzt wurde.
Eine Kirche konnte also 2 oder 3 „Himmel“ haben. Die Anzahl der Flächen konnte auch verschieden sein – 8, 12, 14, 16, 24. Und je grösser die Spannweite war, desto mehr Flächen hatten die „Himmel“. Die kleineren Kapellen mit der Spannung von 3 bis 5 m hatten 8, selten 12 Flächen. Die grösseren Kirchen hatten 12, 16, 20 oder 24 Flächen.

Die Menschen im Mittelalter haben den Himmel als einen Ort wahrgenommen, wo Gott und die Engel leben. Und in den christlichen Kirchen war die Kuppel ein Symbol des Himmels, darum wurden im oberen Teil des Kirchenraums nur die Szenen dargestellt, die laut Glaubenssätzen im Himmel geschehen. Hier sah man auch die Personen der oberen Stufe der „himmlischen Hierarchie“ – Jesus Christi, Gottesmutter, Engel. Diese Tradition der Steinkirchen wurde von hölzernen nördlichen Kirchen übernommen.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts verbreitete sich in Kargopolje die „Himmelskomposition“ mit dargestellten Erzengeln. Solche „Himmel“ bestehen gewöhnlich aus 8-12 Flächen. Die sieben Erzengel werden mit bestimmten Attributen dargestellt: Michael – mit Schwert und Palmenzweig, Gabriel – mit Laterne und Buch oder Lilie, Raphael – mit Arzneigefäß oder mit seinem Begleiter Tobias, Jehudiel – mit Zarenkrone, Uriel – mit flammendem Schwert, Sealtiel – mit Weihrauchfass oder Rosenkranz, Barachiel – mit Weintrauben oder Blumen. Zum Ganzen gehört noch unbedingt die Komposition „Kreuzigung“, sie befindet sich immer auf der Fläche, die direkt auf den Osten gerichtet ist.

Der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche in Saunino. Unten in der Mitte – die Fläche „Kreuzigung“ © Oksana Fedotova

Der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche in Saunino. Unten in der Mitte – die Fläche „Kreuzigung“. 14.Juni 2008

Zur gleichen Zeit, wie diese Art der „Himmel“ mit 8 Flächen, ist noch eine andere Variante mit 12 Flächen erschienen. Hier wurden die sieben Erzengel durch die Figuren von vier Evangelisten ergänzt. So sind die „Himmel“ in der Johann-Slatoust-Kirche in Saunino ein klassisches Beispiel solchen Typus der „Himmel“: sieben Erzengel, vier Evangelisten, die Kreuzung und im zentralen Ring „die Heilige Dreifaltigkeit“.

Die Reihenfolge der Figuren auf den Flächen des „Himmels“ der Johann-Slatoust-Kirche (von der Kreuzigung nach rechts): Erzengel Michael-Evangelist Johannes-Erzengel Raphael-Evangelist Markus-Erzengel Jehudiel-Erzengel Barachiel-Erzengel Sealtiel-Evangelist Lukas-Erzengel Uriel-Evangelist Matthäus-Erzengel Gabriel.

Das zentrale Element wird traditionell mit Seraphen umgeben, auf den dreieckigen Winkelflächen sind Figuren der Cherubim zu sehen.

Das zentrale Element - die Heilige Dreifaltigkeit und der Seraphekreis © Oksana Fedotova

Das zentrale Element - die Heilige Dreifaltigkeit und der Seraphekreis

Die Heilige Dreifaltigkeit im zentralen Ring der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche © Oksana Fedotova

Die Heilige Dreifaltigkeit im zentralen Ring der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche

Die Kreuzigung auf der östlichen Fläche der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche © Oksana Fedotova

Die Kreuzigung auf der östlichen Fläche der „Himmel“ der Johann-Slatoust-Kirche

Erzengel Raphael (Gottes Hilfe) mit Tobias, hält ein Arzneigefäß in der linken Hand © Oksana Fedotova

Erzengel Raphael (Gottes Hilfe) mit Tobias, hält ein Arzneigefäß in der linken Hand

Erzengel Jehudiel (Gottes Lob) mit Peitshe als Strafe für die Sünder und Zarenkrone als Lohn vom Gott für seine Frömmigkeit © Oksana Fedotova

Erzengel Jehudiel (Gottes Lob) mit Peitshe als Strafe für die Sünder und Zarenkrone als Lohn vom Gott für seine Frömmigkeit

Erzengel Barachiel (Gottes Segen) © Oksana Fedotova

Erzengel Barachiel (Gottes Segen). Nicht gut zu sehen, hält aber vermutlich weiße Blumen (Rosen) in seinem Mantel als Symbol für Gottes Segen

Erzengel Uriel (Gottes Feuer) mit dem Schwert in der rechten Hand und der Flamme in der linken Hand © Oksana Fedotova

Erzengel Uriel (Gottes Feuer) mit dem Schwert in der rechten Hand und der Flamme in der linken Hand

Erzengel Michael hält einen Speer in der rechten Hand, oben darauf die orthodoxe weiße Fahne mit rotem Kreuz, und in der linken Hand einen Palmenzweig, an seinen Füßen – der niedergeschlagene Luzifer © Oksana Fedotova

Erzengel Michael hält einen Speer in der rechten Hand, oben darauf die orthodoxe weiße Fahne mit rotem Kreuz, und in der linken Hand einen Palmenzweig, an seinen Füßen – der niedergeschlagene Luzifer

Der Heilige Apostel Evangelist Markus © Oksana Fedotova

Der Heilige Apostel Evangelist Markus

Der Heilige Apostel Evangelist Lukas © Oksana Fedotova

Der Heilige Apostel Evangelist Lukas


Der Heilige Apostel Evangelist Matthäus © Oksana Fedotova

Der Heilige Apostel Evangelist Matthäus

Rechts unten in der Ecke – Erzengel Sealtiel (Gottes Gebet). Wie es in der „Anleitung zum Ikonenmalen“ vorgeschrieben ist, wird Sealtiel mit auf der Brust verschränkten Armen und leicht gesenktem Kopf dargestellt, wie ein betender Mann © Oksana Fedotova

Rechts unten in der Ecke – Erzengel Sealtiel (Gottes Gebet). Wie es in der „Anleitung zum Ikonenmalen“ vorgeschrieben ist, wird Sealtiel mit auf der Brust verschränkten Armen und leicht gesenktem Kopf dargestellt, wie ein betender Mann.

 

Cherub auf der dreieckigen Winkelfläche © Oksana Fedotova

Der Cherub auf der dreieckigen Winkelfläche

Cherub auf der dreieckigen Winkelfläche © Oksana Fedotova

Der Cherub auf der dreieckigen Winkelfläche


Eine andere Gruppe der „Himmel“ waren die „Himmel“ mit dargestellten Aposteln, sie war aber nicht so zahlreich wie die Gruppe mit Erzengeln und ist wesentlich später entstanden. Bei diesen „Himmeln“ schilderte man auf der östlichen Fläche auch die Szene der Kreuzigung (eine Ausnahme bilden die „Himmel“ der Makarij-Kapelle aus dem Dorf Fjodorowskaja), im zentralen Ring war immer „Allerhalter“. Bekannt sind die „Himmel“ mit Aposteln auf 8, 14, 16 Flächen.


Die im 18.Jh erbaute Makarij-Kapelle aus dem Dorf Fjodorowskaja befindet sich seit 1972 im Freilichtmuseum Malye Korely bei Archangelsk. Diese Kapelle ist dem Heiligen Makarij geweiht (Lebensjahre 1409-1504), er war Gründer von einigen Klöstern im Westen Russlands und vom russischen Volk als Wundertäter sehr verehrt.

Makarij-Kapelle aus dem Dorf Fjodorowskaja (18.Jh). Freilichtmuseum Malye Korely bei Archangelsk © Oksana Fedotova


Die Makarij-Kapelle aus dem Dorf Fjodorowskaja (18.Jh). Freilichtmuseum Malye Korely bei Archangelsk,
29.September 2007


Die „Himmel“ der Makarij-Kapelle werden mit Ende des 18.Jahrhundert-Anfang des 19.Jahrhundert datiert. Diese „Himmel“ haben im Vergleich zu den „Himmeln“ der Johann-Slatoust-Kirche aus Saunino einige Besonderheiten. Der tiefblaue Hintergrund mit vielen gelben Sternen lässt sich dem dunklen Hintergrund des „Himmels“ aus Saunino gegenüberstellen, wobei der zweite nur auf seinen Gerüstbalken Sterne hat. Der “Himmel” der Kapelle hat keinen traditionellen Seraphekreis um das zentrale Element. Statt der Kreuzigung sind auf der östlichen Fläche die Figuren des Apostels Petrus und des Apostels Paulus dargestellt, Paulus hält einen Schlüssel in seiner Hand. Und die Figuren der Apostel selbst sind unproportional klein im Vergleich zur Größe der Flächen. Die Flächen sind auch nicht gleich in ihrer Größe – da sind vier größere Flächen mit zwei Figuren auf jeder von ihnen und vier Flächen mit nur einer Figur. Das sieht so aus (1.Fläche ist die östliche, dann nach rechts):


1. Der Heilige Apostel Petrus (rechts) – der Heilige Apostel Paulus
2. Der Heilige Apostel Johannes
3. Der Heilige Apostel Mattias (rechts) und der Heilige Apostel Jakobus der Ältere (Sohn des Zebedäus)
4. Der Heilige Apostel Bartholomäus
5. Der Heilige Apostel Philippus (rechts) und der Heilige Apostel Thomas
6. Der Heilige Apostel Jakobus der Jüngere (Sohn des Alphäus)
7. Der Heilige Apostel Andreas (rechts) und der Heilige Apostel Simon Zelotes
8. Der Heilige Apostel Matthäus Evangelist

Die „Himmel“ der Makarij-Kapelle aus dem Dorf Fjodorowskaja. Unten in der Mitte – Figuren des Apostels Petrus und des Apostels Paulus (östliche Fläche). Im zentralen Kreis – der Allerhalter. 29.September 2007

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Kargopolje, 2 - Das hölzerne Wunder von Ljadiny und Saunino. Die „nördlichen Himmel“, Teil 2

Übersicht: Volkskundliche Berichte aus Russland

Literatur: T.Kolzowa „Die Malerei der „Himmel“ in Holzkirchen des russischen Nordens“. Archangelsk, 1993.

Alle Fotos: © Oksana Fedotova

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