SALBEI (Salvia officinalis)

aus: E. Hoffmann-Krayer, H. Bächtold-Stäubli, Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens,
Berlin und Leipzig 1932

Salbei, © Walter Larcher
Salbei
© von Univ.-Prof. Dr. Walter Larcher freundlicherweise zur Verfügung gestellt

1. Botanisches. Stark duftender Lippenblütler mit z. T. verholztem Stengel, filzig behaarten, runzeligen Blättern und violetten in Scheinquirlen vereinigten Blüten. Der aus den westlichen Mittelmeerländern stammende Halbstrauch wird schon seit langer Zeit in Bauerngärten gezogen. Er gehört zu den alten südeuropäischen Heilpflanzen, die ihre Verbreitung im deutschen Garten hauptsächlich den Klöstern bzw. der Mönchsmedizin verdanken 1). Bekannt ist der Spruch der Mönchsmedizin: "Cur moriatur homo, cui salvia crescit in hortis" ? 2). Vgl. auch "Wer auf Salbei baut - den Tod kaum schaut" 3) und die Volkssprüche "Woar a Shaubaischtaudn muess mer in Huat anam" 4) oder "Du willscht krank sei(n) und hoscht Salb im Goade!" 5). Ebenso kennt man in Italien 6), Frankreich 6a) und England 7) entsprechende Reime.

1) Marzell Kräuterbuch 173f.; Heilpflanzen 144 - 150; Tschirch Handbuch der Pharmakognosie 2 (1912), 1028f.; vgl. auch Fr. Paullini Sacra herba seu nobilis Salvia etc. Augustae Vindelic. 1688, 414f.
2) Renzi Collectio Salernitana 1 (1852), 469.
3) DWb. 8, 1687.
4) Satter Gottscheer Pflanzennamen 18.
5) Wilde Pfalz 219.
6) Pitré Usi 3,253. 6a) Rolland Flore pop.8, 181. 185.
7) Dyer Plants 143.

2. In der gelehrt-magischen Literatur (nach Hermes Trismegistus?) dient der Salbei zauberischen Zwecken. Wird das Kraut in den Mist gelegt, so wird daraus ein Wurm oder ein Vogel, der einen Schwanz wie eine Drossel hat. Wenn einer mit dem Blut dieses Tieres berührt wird, so verliert er die Sinne auf einen Monat oderlänger. Wenn man die Asche des Wurmes ins Feuer streut, so entstehen Blitz und Donner. Wenn das Pulver in eine Ampel getan und diese entzündet wird, so erscheint das ganze Haus voll von Schlangen 8).

8) Albertus Magnus 1508, cap.12; Mizaldus Memor. Centur. 1592, 8o; Alpenburg Tirol 399 (also kein Tiroler Aberglaube!).

3. Im Mittelalter brachte man den Salbei gern mit den Kröten in Verbindung: "die kroten ezzent gern salvei, aber man scheuht si dâ von, der nâhent rauten (siehe dort) da pei setzt", sagt Megenberg 9). Darauf nimmt auch die Novelle Boccaccios 10) bezug von Simona und Pasquino, die sich die Zähne mit einem Salbeiblatt reiben und davon sterben, weil eine Kröte am Salbeistock saß. Hans Sachs 11) hat in seiner "Historia, wie zwey liebhabende von einem salvenblat sturben" den gleichen Stoff behandelt. In Thüringen soll einst ein Mädchen anstatt eines Kindes eine häßliche Kröte zur Welt gebracht haben, nachdem ihr eine Hexe eine Salbeisuppe zu essen gegeben 12). Poppe 13) erklärt die Beziehungen zwischen Salbei und Kröte nach der Signaturenlehre: "Wann man die Blätter der Salbey wohl betrachtet, so sehen dieselben gleichsam abschewlich wie eine Kröte [die Blätter sind runzelig wie die Haut der Kröte!], daraus haben die Alten wahrgenommen und befunden, daß dieses Kraut den Frosch oder die Kröten unter der Zunge [Froschgeschwulst, ranula] stille und vertreibe". Diese "Erklärung" dürfte aber wohl eine sekundäre sein.

9) Buch der Natur ed. Pfeiffer 421; ebenso Albertus Magnus De Vegetabilibus 6, 450; Schroeder Apotheke 1134.
10) Decamerone 37. Erz.
11) Werke hrsg. von Keller und Goetze 2, 223 ff.
12) Paullini Sacra heyba seu nobilis Salvia etc. 1688,412.
13) Kräuterbuch 1625, 542.

4. In der alten Sympathiemedizin spielt der Salbei eine große Rolle. Eine Handschrift des 15. Jh.s aus dem Schloß Wolfsthurn (Tirol) bringt "für das Fieber" folgendes Rezept: "Nym 3 salvaypletter auff ainem stengel ains morgens vor der sunnen vnd schreyb auff das ain blatt + pater + pax, auff das ander plat + filius + vita, aub das dryt plat schreyb + spiritus + sanctus sit tibi contra febrem remedium amen. Das du drey morgen vor der sunnen vnd alle male so nym 3 pletter, dor noch so sprich funff pater noster vndfunb aue maria vnd ain glauben" 14). In ähnlicher Form kehrt dies Rezept, das offenbar aus dem "Evangile des Quenouilles" stammt 15), häufig wieder 16). Um Liebe bei einer Person zu erwecken, nimm drei Salbeiblätter und schreib auf das erste Adam Eva, auf das andere Jesus Maria, auf das dritte deinen und ihren Namen. Brenn diese Blätter zu Pulver und bringe dies der Person beim Essen oder Trinken bei 17). "Nimb ein salbinenblatt und stich mit einer ungebrauchten nadlen 3 Löcher dadurch und nimb alwegen von deinem haar eins und von iren eins und zieg in die drei Löcher, das sie nit mögen herauspfahlen, nimb das salbinenblat, da die har instekhen, wickhle es zuesamen und vermachs in ungebrauchtes Wachs, darnach gebe zue einem Taubstein und legs darauff und sprich: ich tauff dich im Namen Gottes Vatters vnd des Sohnes und des hl. Geistes. Amen. gang dann in das haus, da sie ist und vergrabs undter der thürschwöllen, dass sie auss- und eingehet, so muoss sie dich lieb haben" 18). Gegen das viertägige Fieber gab man dem Kranken neun Tage nacheinander Salbei zu essen, dergestalt, daß er am ersten Tag neun Blätter und die folgenden immer eines weniger nehmen mußte 19). Das Antidotarium Bruxellense schreibt gegen Fußwunden sieben Salbeiblätter vor 20), und in West-Sussex ißt man gegen Fieber sieben Morgen hintereinander sieben Salbeiblätter 21). Bei "Mundfäule" der Kinder hängt man drei Salbeiblätter in den Kamin. Wenn diese verdorren, weicht auch die Krankheit 21).


14) ZfVk. 1, 174.
15) Rolland Flore pop. 8, 186.
16) MschlesVk. 18, 22; Alemannia 27, 113; SAVk. 7, 50; Ohrt Danmarks Trylleformler 1917, 212 f.
17) Jahn Hexenwesen 318.
18) Besegnung aus einem 1727 geschriebenen Heft im Archiv Donaueschingen: Alemannia 2, 131; vgl. auch Scheible Kloster 10 (1856), 177.
19) Zineke Oecon. Lexikon 1744, 2, 2499; das Rezept stammt aus der "Maison rustique" des 16. Jh.s: Rolland Flore pop. 8, 186; es ist auch in England bekannt: Dyer Plants 293.
20) Theodor. Priscianus ed. Rose 1894, 392.
21) Black Folk-Medic. 1883, 122.
21) Manz Sargans 77.

5. Wenn man den "Salvenstock" am Karfreitag vor Sonnenaufgang beschneidet dann gerät er recht gut 22). In Oberfranken dienen die Salbeistengel hin und wieder als "Lebensrute" zum "Fitzeln" 23). Wirft man einen Salbeistengel in den Bach, so trocknet dieser aus. Auch bedienen sich die Diebe des Salbei zum Öffnen der Schlösser (Quelle?) 24).

22) Birlinger Volksth. 1, 472 = Fischer Schwäb Wb. 5, 545; Reiser Allgäu 2, 116; Walther Schwäb. Volkskunde 1929, 144.
23) Heimatbilder aus Oberfranken 3 (1915), 121; 4 (1916), 17.
24) Montanus Volksfeste 147.

6. Ab und zu erscheint auch der bei uns überall wildwachsende Wiesen-Salbei (Salvia pratensis) 25) im Aberglauben. In einer hessischen Sage bekennen die beiden "Wildeweibchen" (Holzleute) beim Rodenstein: "Wenn die Bauern wüßten, zu was die wilden weißen Haiden (siehe Heidekraut) und wilden weißen Selben (der sonst blaue Wiesen-Salbei blüht selten auch weiß, siehe Wegwarte) gut sind, dann könnten sie mit silbernen Karsten hacken". Als einmal ein "Wildweibchen" von den Bauern gefangen wurde, rief ihm das andere zu: "Sag alles, sag alles, nur nicht wozu die wilden weißen Haiden und die wilden weißen Selben gut sind!" 21). Ganz entsprechend ruft in einer französischen Sage eine "Fee" ihrer gefangenen Genossin zu: "Verrate nicht das Geheimnis des Salbei, denn wenn die Reichen es wüßten würden sie die Armen den Hungertod sterben lassen" 27). In Oberbayern pflückt man am Ulrichstag (4. Juli; Mäusepatron) mittags 12 Uhr den Wiesen-Salbei, damit kann man Mäuse vertreiben 28).

25) Marzell Kräuterbuch 274.
26) Wolf Sagen Nr. 82. 87 = Ranke Sagen2 181.
27) Sébillot Folk-Lore 3, 481 = Rolland Flore Pop. 8, 185.
28) Marzell Bayrische Volksbotanik 47.


Marzell.