Stille Nacht, heilige Nacht - Ein Lied geht in die Welt

Anmerkung Red. SAGEN.at: wie die Herausgeber (Tiroler Heimatblätter 1956) des vorliegenden Artikels auch andeuten, entspricht der Artikel stellenweise nicht heutigen objektiven Kriterien!

Jedes Jahr wir in den Zeitungen daran erinnert, dass das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht" im salzburgischen Oberndorf vom Lehrer Franz Gruber komponiert und vom Pfarrer Josef Mohr gedichtet, in der Christnacht 1818 zum ersten mal gesungen wurde. In 97 Sprachen [Anm.: heute vermutlich über 300] wird es heute verkündet. [...] [Streichungen Red. SAGEN.at].

Die Veranlassung zum Lied hatte die alte Oberndorfer Orgel gegeben, die gerade auf Weihnachten unbrauchbar geworden war. Ihr Spiel wollten Pfarrer und Lehrer durch ein improvisiertes Lied ersetzen. Als dann 1819 der bekannte Zillertaler Orgelbauer Karl Mauracher aus Kapfing bei Fügen die Orgel in Oberndorf wieder in Gang brachte, zeigte man ihm das neue Weihnachtslied. Mauracher müsste kein sangeslustiger Zillertaler gewesen sein, wenn er es nicht sofort aufgeschrieben hätte. So brachte er das Weihnachtslied als erster über den Entstehungsort hinaus in das Zillertal. Die Familie Mauracher in Kapfing war seit zirka 1720 im Orgelbau tätig, betrieb nebenbei auch das Tischlerhandwerk und eine kleine Landwirtschaft.

"Orgelerhaus" in Kapfing bei Fügen. Foto Baumann, Fügen

"Orgelerhaus" in Kapfing bei Fügen. Foto Baumann, Fügen

Karl wurde dort am 24. Oktober 1789 als Sohn des Orgelbauers Andreas Mauracher und der Elisabeth, geborene Holzmeister von Zell, geboren. Karl Mauracher erbaute 1829 das noch stehende Orgelerhaus in Kapfing, ein gemauertes Haus, wo der Firstbalken mit seinen Initialen K M 1829, die schön getäfelte Stube und der Ofen mit den grünen Biedermeierkacheln an ihn erinnern. Er soll an die 50 Orgeln gebaut oder renoviert haben. Sein hübsches Grabmal an der Sakristei der Pfarrkirche Fügen ist aus weißem Marmor, zeigt oben im Halbbogen eine Lyra und darunter die Inschrift:

Hier
liegt begraben der ehrengeachtete Herr
Karl Mauracher
von Fügen. Hochverdienter Künstler im Orgelbaue
nach längerer Krankheit, versehen mit allen heiligen
Sterbsakramenten, entschlief er am 24. Mai 1844
im 55. Jahre seines Alters sanft in die bessere Welth
hinüber
Während hier im Thränenthale so manche Orgel
seiner Meisterhand
Gottes Lob ertönt, stimmt er dort oben in die Lob-
gesänge der Engel, denn er war auch ein edler und
tugendhafter Mann.
Er ruhe in Frieden.

Orgelbauer Karl Mauracher, Foto Josef Argus, Fügen, Zillertal

Der Orgelbauer Karl Mauracher, Foto Josef Argus, Fügen, Zillertal

Die Familie Mauracher verlegte mit Matthäus (1818-84) die Orgelbauwerkstätte nach Salzburg, wo sie heute noch besteht.

Karl Mauracher aber lebt im Gedenken der Nachwelt nicht so sehr als Orgelmacher weiter, sondern als Überbringer des Liedes „Stille Nacht", dessen Schönheit er als erster erkannt hat. In diesem Tal begann damals gerade die große Zeit der Nationalsänger. Die Zillertaler, die bisher als Händler mit Handschuhen und Ölen kreuz und quer durch die deutschen und europäischen Länder gezogen waren, wurden zu Boten des Tiroler Liedes und überall ob ihrer schönen Stimmen gefeiert. Da waren vor allem die Sänger der Familie Rainer, denen Mauracher das neue Lied mitteilte. Als im Winter 1822 Kaiser Franz I. von Österreich und Zar Alexander I. von Russland im alten Fügener Schloss als Gäste des Kammerherrn Grafen Ludwig von Dönhoff weilten, sangen die Rainer auch das Weihnachtslied vor den Majestäten. Sie hatten sich wegen Angst und Lampenfieber hinter einem Vorhang aufgestellt, aber der Zar war von ihrem Gesang so begeistert, dass er sie hervorholte und zu einem Besuch nach Petersburg einlud. So trugen die Rainer dieses österreichische Lied von der Weihnacht über die Grenzen hinaus an den Zarenhof und auf ihren weiteren Reisen sogar hinüber in die Neue Welt, wo sie 1839 mit „Stille Nacht" große Erfolge feierten.

Das Strasserhäusl in Laimach, Foto Baumann, Fügen

Das Strasserhäusl in Laimach, Foto Baumann, Fügen

Von Mauracher wurde das Lied auch an eine andere Zillertaler Händler- und Sängerfamilie weitergegeben, an die Strasser in Laimach bei Hippach. Dort steht heute noch das Strasserhäusl (Grünerhäusl), ein uralter Zillertaler Holzbau, fast unberührt seit mindestens 200 Jahren, mit rauchgeschwärzten Holzbalken, einer alten Stube mit dem Walzenofen, Butzenscheiben und Türbeschlägen. Hier lebte der Bauer, Krämer und Handschuhhändler Lorenz Strasser mit seinen Kindern Alexander, Ferdinand, Anna, Amalie, Karoline und Peppi. Sie zogen mit den Handschuhen auf die Märkte nach Leipzig, Berlin usw. Ins Leipziger Tagblatt gaben sie im Dezember 1831 folgende Annonce:

„Die Geschwister Strasser aus dem Zillertal in Tyrol empfehlen zur Messe ihr gut sortiertes Lager von Handschuhen, bestehend aus allen Gattungen für Herren, Damen und Kinder, welche sich vorzüglich gut waschen lassen. Auch ganz feine französische, milchziegene Glace Handschuhe in neuesten Modefarben liegen auf. Die Waren sind schön, daher hoffen sich die Strasser eines zahlreichen Besuches zu erfreuen."

1832 waren die Geschwister Strasser wieder am Leipziger Markt und gaben bekannt: „Vor der Abreise ins Zillertal geben die vier Strasser Geschwister ein Konzert mit anderen Kunstkräften am Sonnabend den 15. Dezember 1832 im Hotel de Bologne. Eintrittspreis im Vorverkauf 15 Groschen. Bei der Kasse 16 Groschen." Bei diesem Konzert wurden in der Pause die drei liebenswürdigen Töchter und der Sohn der Familie Strasser so lange gebeten, bis sie neben Tiroler Nationalliedern auch das allerliebste Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ unter stürmischem Beifall vortrugen.

In den folgenden Jahren sangen die Strasser dieses Lied in ganz Deutschland. So wurden die Zillertaler Handschuhhändler zu Boten eines Weihnachtsliedes, das die ganze Welt erobern sollte. Jahr für Jahr zogen die Strasser in die Ferne und zwei von ihnen sahen die Heimat nicht wieder: Alexander starb 1831 in Königsberg und Amalie 1835 in Leipzig. Ihrer in Dankbarkeit zu gedenken ist eine der Absichten dieses Beitrages.

Das Wissen um diesen Weg des berühmten Weihnachtsliedes, dessen wichtigste Stationen im Zillertal liegen, soll jeden Freund der Heimat anregen, die Gedenkstätten zu besuchen. Da steht das Barockschloss in Fügen, dessen Kaiserzimmer, in dem das Lied vor zwei Kaisern erklungen ist, heute als Kapelle dient. Das Kaiserdenkmal für Franz I., ein feines Werk der Biedermeierkunst, wurde 1939 von Übereifrigen zerstört. Wenige Schritte daneben steht an der Friedhofmauer der Grabstein des Grafen Ludwig von Dönhoff (gestorben 1838), der das erste Konzert vor prominenten Gästen inszeniert hat und an der Sakristeimauer der Pfarrkirche das Grabmal des Orgelbauers Karl Mauracher, der die Verbindung von Oberndorf nach Fügen schlug und mit künstlerischem Instinkt ein Lied aufgezeichnet hat, das sonst vielleicht verschollen wäre, denn Gruber und Mohr waren zu bescheiden, um für ihr Werk die Propagandatrommel zu rühren. Nebenbei lohnt sich ein Besuch in der Pfarrkirche Fügen, auf deren Orgel 1769 Wolfgang Amadeus Mozart gespielt hat, als sie noch im Haller Damenstift stand. Nach Aufhebung des Stiftes wurde sie 1782 von der Pfarre Fügen erworben. Nach den Forschungen von Nikolaus Graß (Haller Buch, Seite 335) ist sie ein Werk des Andreas Mitterreitter von Altötting aus den Jahren 1747/48.

Eine halbe Stunde taleinwärts hinter Fügen liegt, versteckt im Weiler Kapfing, das Orgelerhaus der Mauracher mit seiner alten Stube. Eine bescheidene Gedenktafel meldet: „Hier lebte, wirkte und starb der große Orgelkünstler Karl Mauracher von 1789 - 1844. Ihm verdanken wir die weltweite Verbreitung des Liedes ,Stille Nacht, heilige Nacht'. Die Gemeinde Fügen." Noch weiter drinnen, nahe dem prachtvollen Talschluss der Gletscher, steht abseits der Straße in Laimach das altersgraue Holzhaus der Sängerfamilie Strasser, das den richtigen Rahmen für ein Zillertaler Heimathaus abgeben würde. Vielleicht findet auch die Rainer-Sammlung im Kufsteiner Heimatmuseum dort einmal ihre Aufstellung und Auferstehung. In Kapfing und Laimach Besuch zu machen wäre ein Wandervorschlag, der jedem in der Weihnachtszeit empfohlen werden kann.

Dieser Beitrag wurde von der Schriftleitung zusammengestellt auf Grund von Unterlagen, die der rührige Befürworter der Zillertaler Gedenkstätten des Weihnachtsliedes, Herr Josef Argus in Fügen, gesammelt hat. Dabei soll auch Herr Emil Koschak in Wien nicht vergessen werden, der sich seit Jahren um die Zillertaler Gedenkstätten und ihre würdige Gestaltung bei allen Stellen in uneigennützigster Weise bemüht hat.

Quelle: Ein Lied („Stille Nacht") geht in die Welt, in: Tiroler Heimatblätter, Zeitschrift für Geschichte, Natur- und Volkskunde, 31. Jahrgang, Jänner - März 1956, S. 1 - 3.
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