LUDWIG STEUB - ALPENREISEN


UMGANG MIT DEN EINGEBORENEN

Im Bregenzer Wald

Durchschnittlich fährt man am besten, jedermann wie einen alten Bekannten zu behandeln. Am Wirtstisch mag man selbst zu reden anfangen oder zusehen, bis man angesprochen wird, was nie lange auf sich warten läßt. Es ist nirgends leichter, Bekanntschaften zu machen, als in diesen Gebirgen. Allerdings wird das freundliche Entgegenkommen von seiten der Eingebornen zum Teil auch der Neugierde zuzuschreiben sein, welche die gebildeten Stände ebenso kitzelt wie den Bauer. Die ersten Fragen gehen daher gewöhnlich über die Richtung der Reise, die damit verbundenen Zwecke, worauf dann die Untersuchungen der Person des Fremden immer näher rücken, die Fragen immer verfänglicher werden, bis er zuletzt, zum Geständnis getrieben, seinen Namen und seinen Stand, allenfalls auch noch den seiner Eltern und Geschwister und nächsten Blutsverwandten, einbekennt. Wer sich in längerer Erfahrung überzeugt hat, daß alle Ausflüchte nichts helfen, wird einsehen, um wieviel besser es ist, bei der ersten scharfen Frage gleich offen und redlich herauszugehen und sich mit den freundlichen Forschern ungefähr in ähnlicher Weise abzufinden wie weiland Franklin mit seinen Landsleuten. Damit ist denn aber auch viel Bereitwilligkeit erworben, nämlich eine Bereitwilligkeit zu unterrichten, zu raten, zu helfen, zu führen, die jede Probe aushält. In einem Lande, das von Jahr zu Jahr mehr bereist wird, ist das Streben der Einheimischen, über die Persönlichkeit des Fremden, dem man unter bestimmten Voraussetzungen zuvorkommend entgegentreten will, sich ins klare zu setzen, gewiß ein sehr erklärliches, und es soll daher hier nur erwähnt, nicht getadelt werden. Bei den Landleuten ist's freilich in der Regel nur ein naiver Vorwitz ohne alle Hintergedanken. In Vorarlberg läuft der Bauer, wenn er mitten im Acker arbeitet, an den Saum heraus, um zu fragen: "Wo kommen die Herren her?", und kehrt dann, wenn er's erfahren, wieder neugestärkt zu seiner Pflicht zurück. Der Nordtiroler, insonderheit der Inntaler, ist weniger untersucherisch und gleicht darin dem bayerischen Bauern, der in seiner tiefen Gemütsruhe durch solche Neugier sich auch nur selten aufregen läßt. Der deutsche Südtiroler dagegen steht in diesem Stücke dem Vorarlberger am nächsten. Es dürfte schwer sein, eine Unterredung mit ihm abzuschließen, ohne daß er nach eingeholtem Verlaub die Frage gestellt: "Wo bleiben Sie zu Haus?",oder schlichtweg: "Wo bleiben Sie?" Das heißt: "Wo sind Sie seßhaft? Wo ist Ihre Heimat?" Es ist ein Übelstand, daß diese Lieblingsfrage dem Ausländer fürs erstemal wenigstens sehr dunkel klingt, und es wird uns nur freuen, wenn wir hier etwas zur Vermittlung des Verständnisses beitragen konnten.


Im Bregenzer Wald

Die alten Wälder pflegten übrigens jeden Fremden schlechtweg Bettler zu nennen. Da die Gäste, die ihnen das Ausland früher zusandte, fast ohne Ausnahme dieser Klasse angehörten, so scheint jener Sprachgebrauch in der Tat nicht so auffallend. Über das seltsame Bettlerwesen in der Wälderrepublik gibt uns F. M. Felder eigentümliche Aufschlüsse. In der guten alten Zeit kamen diese Fremdlinge aus der Schweiz und dem Schwabenlande scharenweis in den Bregenzer Wald, wo sie nicht einmal der Schatten einer Polizei belästigte. Damals waren die Taler zwar noch rar im Lande, aber die Lebensmittel im Überfluß vorhanden. Man konnte daher mildtätig gegen die Armen sein, welche sich hordenweise in den Wäldern herumtrieben. Das freie, sorgenlose Leben, das sie da führten, gefiel ihnen dann bald so wohl, daß sie nie mehr an die Heimat dachten. Dort, bei Schopernau, wo der Bettlerbach in die Aach fällt, lagerten sich oft ganze Scharen solcher Gäste. Sie kochten und schliefen in den dichten Wäldern zu beiden Seiten des Baches, der von ihnen seinen Namen erhielt. Im Winter zogen sie dann mit der Beute, die sie im Sommer errungen, mit dem Proviant, den sie erübrigt hatten, in die nächsten Alpenhütten und ließen sich's wohl sein.

Den Tag über saßen sie beim Feuer oder, wenn gutes Wetter war, vor der Hütte im Sonnenschein. Zuweilen wurden sie aber ganz ausgelassen. Wenn einer eine Zither hatte und damit aufspielen konnte, so tanzten die ändern, daß der Staub aufflog, und jauchzten zu den Türen und Fenstern hinaus, daß man's bis ins Dorf hinunter hörte.

Einzelne unter diesen Gästen, wie der von Felder geschilderte Schwarzhannes, wußten sich allerdings durch heiteres Wesen und lustige Hinfalle beliebt zu machen, aber im ganzen waren die Bettler doch gehaßt und gefürchtet. Diese Empfindung, obwohl etwas abgemildert, trug der Wälder, als sein Ländchen besucht zu werden begann, nun auch allen Fremden entgegen, selbst solchen, die ihn nicht anbettelten. Es dauerte lange, bis er sich überzeugen ließ, daß es auch in der übrigen Welt noch Leute gebe, die ebenso anständig leben können wie er, ja sogar solche, die in den Wald nur kommen, um ihre Erübrigungen da liegenzulassen. Es bleibt ihm immer noch ein gewisser Argwohn, ob die Touristen und Touristinnen, die reisenden Geheimräte mit Gattinnen und Töchtern, nicht am Ende doch verkleidete Bettler seien. Deswegen ist der Wälder im Anfang sehr zugeknöpft und wartet, bis man ihm entgegenkomme. Er vergißt sich selten so weit, den Fremdling auf der Straße oder im Wirtshause zuerst zu grüßen oder ihm das erste Wort zu schenken. Aber wenn man ihm die verdiente Ehre erweist, ihn zuerst grüßt, zuerst anredet, ihm mitteilt, daß er in den letzten Jahren wieder etlichemal entdeckt worden sei und daß sich die Welt jetzt fast nur mit ihm beschäftige, dann schmilzt das Eis um sein stolzes Wälderherz, und er kann recht munter und gesprächig werden.