419 - Chastelers Schwanken


der Gedanke gekommen, alles, was er an Verteidigungskräften hatte, am Brenner zu sammeln und da den Feind zu erwarten. Vejder wurde am 15. von Volders nach Steinach abberufen, Buol sollte mit dem Militär ihm in der kommenden Nacht folgen. Ähnliche Befehle ergingen an Schmidt und Marschall. Dass Buol von Volders abziehen sollte, versetzte die anwesenden Schützen in hochgradige Erregung. Sie machten Miene, den General an der Vollziehung des empfangenen Befehles gewaltsam zu hindern. Aber Buols Verlegenheit dauerte nicht lange. Vejder schilderte vor Chasteler, als er bei ihm erschien, die große Menge kampflustigen Volkes, die sich um Buol sammle, eben gelangte auch die Nachricht von Jellachichs angeblichem Hilfszuge nach Steinach. Sogleich stimmte dies Chasteler, der sich in seiner seelischen Ergriffenheit jedem Augenblickseindruck hingab, wieder um. An Buol kam noch am selben Tage eine zweite Weisung, die ihn zum Ausharren in Volders ermunterte und Chastelers eigenes Vorrücken nach Innsbruck in Aussicht stellte. 1) Nur wenige Stunden, und der Oberstkommandierende gab das ganze Inntal preis. Botschaften vom Erzherzog ließen eine baldige Unterbrechung der Kommunikation mit demselben befürchten; von Süden herauf, hieß es, bereite sich ein neuer feindlicher Vorstoß vor, und Tirols Nordgrenze werde von dem sich sammelnden Korps Beaumont gefährdet. Da flogen nun nach allen Seiten Mandate, welche die vom vorigen Tage widerriefen. Marschall hatte in Schabs zu bleiben, Schmidt hatte Pustertal unter seine Aufsicht zu nehmen, Buol schnellstens Volders zu verlassen. Die Inntaler erfuhren es von Chasteler selbst, dass auf ihn nicht mehr zu rechnen sei. 2) Chastelers Unruhe teilte sich auch Hormayr mit. Am 15. verließ er Innsbruck und, Chasteler in einem Augenblick treffend, da er noch unternehmungslustiger war, eilte er weiter, um den Landsturm südlich vom Brenner aufzumahnen. Am 16. war er wieder in Steinach und sah Chastelers Gegenbefehle. 3) Die frühere Zuversicht und all die ausschweifenden Pläne wichen einer gänzlichen Depression. An seinen Erzherzog richtet er nun folgenden Klageruf: „Wir sind im vollen Rückzug gegen den Brenner, wo wir hoffen, uns noch einige Zeit zu halten. Gnädigster Herr! Welch ein verzweiflungsvolles Los, ein Werkzeug zum gänzlichen Verderben seines eigenen Vaterlandes gewesen zu sein. Das schöne Schwaz, Vomp,

1) Ganz orakelhaft antwortet Chasteler der Deputation 15. Mai: „dass ich, sobald der Zeitpunkt erschienen sein wird, mit meiner ganzen Macht dahin mich wenden werde, wo es meine aufhabende Pflicht und das Heil des Vaterlandes erheischet." L. A.
2) Chasteler an die Stadt Hall, Steinach 16. Mai (J. M.): „Bis zur Ankunft von Verstärkungen des E. Johann muss mein Hauptaugenmerk die Verteidigung des Brenner sein. Die Stadt Hall wird am besten wissen, wie sie sich in dieser Lage zu benehmen hat."
3) Bei diesen Fahrten begleitete Giovanelli den Intendanten. Die diesmalige Anwesenheit in Steinach benützte ersterer, um loszukommen und nach Hause zu reisen.



Quelle: Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 419

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.