Schwaz in Kriegs- und Feuersnot


Von Josef Friedrich Mair, Schwaz

Der 14. Mai 1809, Sonntag nach Christi Himmelfahrt, kam keineswegs als frühlingsfroher Gast in den Markt Schwaz, sondern vielmehr als Unglücksbote und grober Furchterreger. Die ganze Nacht hindurch war Pferdegetrabe, Wagengerassel und das Gedröhn von Marschschritten, zwischenhinein Waffengeklirr und lautes Rufen auf der Hauptstraße landauf zu vernehmen gewesen, und schon in aller Morgenfrühe war jung und alt auf den Beinen. Da und dort, besonders auf dem Marktplatz, standen Landesverteidiger in mancherlei Tracht und Wehr mit Einheimischen beisammen und besprachen voll Sorge und Eifer die letzten Ereignisse im Unterland. Die waren aber schlimm genug: Die bayrische Division Wrede durch den Strubpass, die französische Division Deroy bei Kufstein eingedrungen, Mord und Brand im Leukental — und der österreichische General Chasteler, der kürzlich mit ein paar tausend Soldaten und vielen Schützen ins Unterland gezogen, Chasteler, auf den alle Hoffnung der vaterlandstreuen Tiroler beruhte, gestern auf der Ebene vor Wörgl geschlagen, gänzlich geschlagen! Wie bald würde jetzt die schreckliche Feindesmacht nach Schwaz kommen?

Aus dem Unterland kommende Schützen schimpften ganz wild über die unglückliche Kampfaufstellung bei Wörgl und behaupteten, Chasteler und seine Offiziere verstünden das Kriegführen im Gebirgslande nicht, er sei selber nur mit knapper Not der Gefangennahme entgangen und eiligst gegen Innsbruck geritten, jetzt könne man zusehen, wo etwa der Feind noch auszuhalten wäre.

Schon früh am Tage fanden sich führende Männer der Marktgemeinde im Gemeindehause (jetzt Handelsschule) ein, um die einlaufenden Nachrichten zu prüfen, die Sachlage zu beraten und die geeignetsten Vorkehrungen zu treffen. Der Marktausschuss bestand aus den Herren: Johann Felix Würstl, Franz Josef Hueber, Peter Nikolaus Lergetporer, Johann Josef Thaler, Josef Isser, Jakob Penner, Matthias Ettel, Alois Pieger und dem Rechtsbeistand Anton Nikolaus Hensinger. Die Stelle des Marktvorstandes hatte zuerst der Kaufmann Josef Michael Krinner, bald nachher aber Franz Josef Hueber, ebenfalls Kaufmann, inne.

Die ständigen Beratungen im Gemeindehause führten immer wieder zu dem Schluss: es müsse starke Hilfe von der bei der Volderer Brücke gestauten Menge der Wehrmannschaft erlangt werden. Dort wollte Chasteler alle Kräfte zusammengezogen wissen und hatte deshalb den General Buol mit der Sammlung der Massen beauftragt. Buol hatte auch schließlich 6000 Soldaten und 10.000 Schützen zusammengebracht, aber keine Ordnung in diese ansehnliche Macht bringen können, denn er verstand es schlecht, mit den bäuerlichen Landesverteidigern umzugehen, und diese zeigten sich seit der Niederlage von Wörgl misstrauisch, ja zum Teil höchst erbittert gegen die österreichischen Offiziere. Gestern waren ganze 500 Mann gemischter Truppen und 30 Reiter unter dem Befehle des hier bekannten und beliebten Oberstleutnants Paul v. Taxis nach Schwaz gekommen. Ihnen folgten etliche Schützenkompagnien. Mit dieser Truppe sollte der Markt gehalten werden! Mehr war von Buol trotz aller Bitten nicht zu erlangen.

Der sehr angesehene Schwager Bürger Peter Nikolaus Lergetporer, Wachszieher und Kaufmann, galt als besonders sachverständig in militärischen Dingen, hatte er doch schon 1796 und 1797 mit dem Schwazer Aufgebot gegen die Franzosen in Südtirol gekämpft und namentlich bei Spinges seinen Mann gestellt. (Dafür wurde er von dem Schwazer Chorregenten Peter Paul Staudacher, der als junger Schütze mit ausgezogen war und sich des öfteren als kerniger Dialektdichter bewährte, gebührend besungen.) Lergetporer gehörte zwar nicht zu denen, die in das Geheimnis der ersten Erhebung Tirols eingeweiht waren, als aber nach der Räumung des Landes der Ruf zur Grenzbesetzung erging, förderte er eifrig die Bereitstellung zweier Schwazer Kompagnien. Eine ging gleich mit ihm selbst und mit dem Hauptmann Peter v. Tausch ins Achental ab, die andere folgte bald unter Hauptmann Hensinger und mit Lergetporers Sohn Johann als Leutnant talabwärts nach. Am Zintberg bildete sich eine eigene Kompagnie unter Hauptmann Thomas Mair. Im Achental entfaltete Lergetporer, obwohl schon nahezu 60 Jahre alt, im Vereine mit dem trefflichen Anton Dominik Aschbacher eine rege Tätigkeit und wirkte, von der Landesobrigkeit zum Distriktskommandanten für Schwaz bestellt, sozusagen als Verbindungsoffizier und trug dabei die kaiserliche Uniform.

Nach dem Einbruche über den Strubpass und bei Kufstein wurden alle im Achental stehenden Schützenkompagnien eiligst ins Inntal heraus beordert. Lergetporer machte, nachdem er vom Maggingerbräu in Jenbach erfahren hatte, dass der Vortrab der Feinde schon Rattenberg erreicht habe, gestern abends den Gang nach Schwaz, um nach den Seinen zu sehen. Sein Haus, das schon seit 150 Jahren im Besitze der gleichen Familie war, stand ungefähr an der Stelle, wo sich jetzt die Häuser Arnold und Nußbaumer erheben; die ganz genaue Lage lässt sich nicht mehr ersehen, weil hier nach anno neun allzu große Bauveränderungen platzgriffen. Lergetporer besprach sich mit seinen Gemeinderatskollegen, namentlich mit seinem Freunde und Nachbarn Thaler, dem Gastwirt zum „Goldenen Greifen" (jetzt Wagnerhaus), und musste erkennen, dass die Meinungen über die derzeitige Lage sehr weit auseinander gingen: Während die einen im Vertrauen auf die Landesverteidigung und die erhoffte Hilfe vom Lager an der Volderer Brücke ganz zuversichtlich waren, erwogen andere schon die Förmlichkeiten eines friedlichen Empfanges der anrückenden Feinde.

Der Straßenverkehr war andauernd äußerst lebhaft. Verwundetentransporte und landauf fliehende Unterländer Familien, die auf Wagen und Karren ihre notdürftigste Habe mit sich führten, erweckten besondere Anteilnahme. Viele Schwazer trachteten, ihre Lieben auf die Berghöfe zu flüchten, die Bauern gingen auch daran, ihr Vieh, vor allem die Pferde, auf die Berge zu bringen. Die Bergbauern kamen aber auch allen Hilfesuchenden bereitwilligst entgegen.

Das Kommen und Gehen von Landesverteidigern und das laute Treiben in allen Gaststätten des Marktes ließen die Abwehrmacht viel größer erscheinen als sie wirklich war. Manche Schützenschar kam ja nur, um sich zu stärken und zu verproviantieren, und zog dann auf die Höhen von Freundsberg, Falkenstein, Gallzein und Kogelmoos, manch andre kehrte überhaupt infolge Gegenbefehls um.

Nachmittags ließ Kanonendonner aus dem Unterinntal alles aufschrecken: Die Zuversichtlichen meinten, nun gehe es dem Feinde an den Kragen, die Zaghaften ahnten das Schlimmste für die Heimat.

Lergetporer erledigte, nachdem er von Bergdirektor Wagner und vom Richter Bohonowsky die beruhigendsten Versicherungen betreffs  Schutz und Sicherheit seiner Familie erhalten hatte, in seinem Hause private Angelegenheiten, bei welcher Gelegenheit er seinen hochwürdigen Herrn Bruder, den Benefiziaten Johann Lergetporer, zum letzten mal in seinem Leben sah. In seinem Hause wohnte noch ein geistlicher Bruder, der Diakon Balthasar Lergetporer. Abends traf er bei seinem Nachbarn Thaler einige Männer aus Schlitters, die ihn bestürmten, ihrer bedrohten Heimat zu helfen, und er versprach, morgen auf die Brettfall zu kommen. Die Armen ahnten nicht im geringsten, dass in dieser Stunde das Dorf Schlitters samt den beiden Kirchen in Flammen stand und der zähe Speckbacher von dem Felsenneste Brettfall durch starkes Geschützfeuer und drohende Umgehung vertrieben war!

Spät abends kamen wohl noch Nachrichten von heftigen Kämpfen und Mord und Brand bei der Zillerbrücke und von der Plünderung des Dorfes Straß, hingegen tauchten aber auch Meldungen auf, dass der Feind durch heftige Schützenangriffe zermürbt sei und durchs Achental abziehen müsse. So sehr unterschätzte man die feindliche Macht! Oberstleutnant v. Taxis machte in der Nacht mit Straub einen Erkundungsgang gegen St. Margareten und hielt an dem Befehle: „Schwaz zu halten!" als treuer Offizier fest. Straub kehrte noch nach Hall zurück.

Als Lergetporer am nächsten Morgen, im Begriffe nach Rotholz zu gehen, mit zweien seiner Kinder schon um fünf Uhr am Hausgangfenster stand, bedrohten ihn einige Oberländer Schützen von den Fenstern des Sternwirtes aus mit angelegten Stutzen, eine wohlberechtigte Anordnung seinerseits hatte sie gegen ihn aufgebracht. Dagegen fanden sich bald darauf Schützen aus Stans bei ihm ein, um Rat und Hilfe zu erbitten. Er folgte diesen in Schützenuniform nach Stans, fuhr nach Buch über und kam endlich nach mancherlei Besprechungen zu seinen Schützen bei Jenbach.

Wunderschönes Maienwetter leitete diesen Tag ein, doch achtete kaum jemand darauf. Man glaubte zwar nicht, dass die Ankunft des Feindes sehr nahe sei, aber die Aufregung stieg zusehends; Flüchtlinge eilten bergan, wer Wertsachen im Hause hatte, suchte sie möglichst gut zu verstecken oder zu verschließen. Sechs Parteien, darunter auch die Gattin Lergetporers, hatten schon früher all ihr Bargeld, „Schatzgeld" ihrer Kinder, Silbergerät und alle Pretiosen hinter dem Altare der Spitalkirche verwahrt. Dieses „Spitalkirchenarchiv" hielten sie eben für besonders sicher.

Die P. P. Franziskaner verließen ihr Kloster und zogen mit dem Allerheiligsten auf den Arzberg.

Die mittags einlangenden Nachrichten von heftigen Bränden zwischen Rotholz und St. Margareten und die Erzählungen von den fürchterlichen Ereignissen an der Zillerbrücke und im Dorfe Straß zeitigten bei den wehrhaften Männern des Marktes den Mut der Verzweiflung. Zu den Kampfbegeisterten gehörte insbesondere Marianna Jäger, „Lebzelter-Mariandl" genannt, ein Mannweib, das den Stutzen wie der beste Schütze zu führen verstand und ebenso sachverständig Tabak rauchte. Sie wohnte in der Schul-(Tannenberg-) Gasse.

Taxis besetzte den wichtigen Brückenübergang mit seinen 120 Salzburger Jägern, mit der übrigen Truppe und den zwei Kanonen nahm er am Markteingang bei St. Martin Aufstellung. Rechts und links davon setzten sich auf weiten Strecken Schützen und Landstürmer fest.

Um 2 Uhr sprengten Patrouillenreiter mit der Meldung in die Dorfstraße ein, dass sich der Feind beim Märzenkeller zeige. Alsbald vernahm man aus der Gegend des Erbstollens feindliches Geschütz- und Gewehrfeuer, das sich gegen die von Speckbacher befehligten Schützenscharen an den unteren Hängen des Falkensteins bis zum Zintberg richtete.

Wie ein wilder Schwall ergoss sich die Feindesmasse in die Felder zwischen Straße und Inn und ordnete sich rasch zu förmlicher Schlachtstellung. Wrede und Deroy verfügten außer der großen Menge Infanterie über sehr viel Geschütz und über ein Reitergeschwader von 1000 Mann.

Wrede schickte zuerst Reiterei in breiter Front vor, aber Taxis ließ sofort seine zwei Kanonen spielen und auf der ganzen Linie wurden die Ansprengenden von heftigem Gewehrfeuer empfangen. Sie mussten rasch wenden. Ein zweiter und ein dritter Ansturm brachte die Reiter wohl auf der Hauptstraße schließlich bis zum Lahnbach vor, endete aber wegen des Kugelregens (mitunter auch Steinhagels) aus allen Häusern, Stadeln, Gärten und von Straßen- und Feldmauern mit voller Flucht der Reiterei. Diese erlitt große Verluste an Verwundeten und Toten, auch ein Prinz Löwenstein wurde schwer verwundet, und ein Offizier soll von der Lebzelter-Mariandl vom Pferde geschossen worden sein. Es wird erzählt, dass ein riesenhafter Mann, der auf der Inninsel „Äuele" ein Einsiedlerleben geführt habe, vor dem ersten Angriff ganz allein mit einer Sense bewaffnet dem Feinde entgegengegangen sei; von dem habe man später nichts mehr gehört und gesehen.

Wrede befahl den vierten Sturmangriff und ließ der Reiterei sofort Geschütze und Fußvolk folgen. Diesmal erst gelang der Durchbruch durch die am grimmigsten verteidigte Lahnbachstellung in die Hauptstraße des Marktes, wo gleich Kanonen aufgestellt und sogar Vollkugeln direkt in die Häuser geschossen wurden.

Die tapfere Taxissche Truppe und die todesmutigen Schützen mussten in voller Zerstreuung das Dorfviertel verlassen, und was noch kampffähig war, suchte zu den durch Kartätschenfeuer stark gelichteten Gruppen Speckbachers am Freundsberg oder zur Innbrücke zu kommen, um die sich bald ein erbitterter Kampf entspann.

Wrede zog durch die obere Dorfstraße ein und nahm zunächst im Schnapper-Wirtshause Aufenthalt. Währendem flammten schon im Unterdorf, dem Marktteil zwischen Reichsstraße, Lahnbach und Inn, damals noch „Fürstenbau" genannt, Feuerbrände auf, die immer zahlreicher wurden und zuletzt dieses ganze Viertel einhüllten. Die Salzburger Jäger und die Tiroler Schützen konnten die Innbrücke nicht lange halten, auch das Abtragen oder Verbrennen gelang nicht mehr, denn ein starker Reitertrupp drang mit aller Gewalt vor und räumte unter fürchterlichem Einhauen die Stelle. Zugleich fuhr sowohl am Marktplatz wie an der Lahnbachmündung Geschütz auf. Die jenseits des Inn befindlichen Landesverteidiger mussten eilig gegen Vomp und Vomperbach flüchten, da jetzt französisches Kriegsvolk am linken Ufer herauf kam. Es war dies jener Teil der Division Deroy, der schon bei Rattenberg und Brixlegg über den Inn gegangen war. Der umsichtige Aschbacher hatte die aus dem Achentale herbeigeführten Schützenkompagnien im „Tiergarten" bei Jenbach postiert und dem Feinde den Übergang über die Rotholzer Brücke verwehrt. Als aber von Münster-Wiesing jene Feindestruppe herankam, konnte der Tiergarten nicht mehr gehalten werden. Aschbacher wich, nachdem die Rotholzer Brücke durch Feuer zerstört worden war, über Jenbach hinaus zurück, setzte sich aber beim Schlosse Tratzberg von neuem zur Wehr. Es gelang ihm, den Feind eine geraume Weile aufzuhalten, musste aber, da wieder Kanonen das große Wort sprachen, mit seinen Leuten gegen Georgenberg hin weichen. Von Tratzberg an hatte dieser Truppenteil Deroys keinen ernstlichen Widerstand auf seinem Marsche nach Schwaz gefunden.

Inzwischen stiegen auch im Oberdorfe an mehreren Stellen Rauch- und Feuersäulen auf, weshalb dem General Wrede der Aufenthalt im Schnapperwirtshause nicht mehr behaglich sein mochte. Er verfügte sich ins stattlichste Haus von Schwaz, ins Palais Tannenberg (jetzt Enzenberg) und begann sogleich, ausgiebig zu tafeln. In dieses Gebäude war auch der verwundete Prinz Löwenstein gebracht worden. Mag Wredes Wesensart wie immer gewesen sein, an diesem und dem folgenden Tage erwies er sich als Grobian und Polterer, ja als völliger Wüterich. Es ist schwer zu sagen, ob die Zuchtlosigkeit und das schändliche Betragen seiner Soldaten so schlimm auf ihn eingewirkt oder ob umgekehrt sein rohes Benehmen diese zu ihren menschenunwürdigen Taten veranlasst habe.

In alle Gassen und Gässchen drangen die rauen Soldaten ein, da und dort erscholl Gepolter vom Einschlagen der Haustüren und Verzweiflungsvolles Schreien und Weinen. Wer noch flüchten wollte, wurde wie Freiwild niedergeschossen, so erging es dem pensionierten Hauptkassier v. Mayrhofer und vielen andern. Wehe allen, die diesen wilden Rotten in den Weg kamen, wehe den Frauen und Mädchen, die sie erreichen konnten! Sie raubten und plünderten in den Hütten der Armen ebenso grausam wie in den Häusern der Reichen und wüteten gegen die bayrische Beamtenschaft und gegen bayrische Ämter und Güter ebenso wild wie gegen alles Tirolische. Währendem strömten immerfort neue Truppen nach, die zum größten Teile ohne Aufenthalt über die Brücke auf die jenseitigen Felder zogen, um dort angesichts des vollauf brennenden Dorfes Vomp Lager zu schlagen.

Wrede hatte der gräflich Tannenbergischen Familie, deren Gast er war, volle Sicherheit für Person und Eigentum zugesagt, aber während er noch an der Tafel saß, stahlen und raubten Soldaten im ganzen großen Palais und vernichteten noch dazu überaus wertvolle Bücher- und Mineraliensammlungen. Sie verstanden es meisterhaft, verschlossene Türen und Schlösser zu öffnen. Als schon der ganze Marktteil „Dorf" in hellem Feuer stand und es auch in der „Langen Gasse" jenseits des Inn verdächtig zündelte, begab sich Wrede ins Lager hinüber.

Das Brandstiften und Plündern hatten die feindlichen Truppen schon vom Unterinntal herauf geübt, Rotholz blieb zwar auf Fürbitte des besonnenen und menschenfreundlichen Richters Dr. v. Inama vom roten Hahn verschont, so dass jetzt Marschall Lefebre im dortigen Schlosse wohnen konnte, aber schon beim Weiler Maurach wurden neun Häuser angezündet. Zuerst kamen nur etwas von der Straße abstehende Wohnstätten daran, um den späteren Durchzug und die Munitionswägen nicht zu gefährden, bald wurde auch diese Vorsicht außer acht gelassen. Auf die Kirche in St. Margareten und in die dortigen Häuser wurden Montag nachmittags noch brennende Pechkränze geschleudert. Im ganzen verbrannten in Buch-St. Margareten 53 Häuser und die Kirche.

Zu diesen Untaten waren auf dem Weitermarsche noch unsagbare Massakrierungen von Leuten, die nicht fliehen konnten — alte, bresthafte Einwohner, Kranke und Geistesschwache gekommen, ja einer dieser Unglücklichen wurde sogar bis Schwaz mitgeschleppt und endlich im Marktbrunnen ersäuft.

Diese Unmenschlichkeit der Soldateska tobte sich jetzt im Markte Schwaz vollends aus. In den Kirchen und Sakristeien geschahen unerhörte Frevel und Verwüstungen. Was nicht weggeschleppt werden konnte, musste gründlich zerstört werden. Vieles konnte übrigens alsbald zu Geld gemacht werden, da sich im Gefolge der Truppen natürlich zahlreiche Handelsleute befanden, die für alles Schacherinteresse hatten. Besonders von Räuberglück begünstigt konnten sich jene Soldaten fühlen, die mit leichter Mühe das oben erwähnte „Archiv" hinter dem Altare der Spitalskirche auffanden: es fielen ihnen Werte von 20.000 Gulden in die Hände. Im Rentamte (jetzt Rathaus) sowie im Bergwerkshandelshaus auf dem Barbara- (oder Pfund-) Platze und im Bergamtsgebäude beim Marktbrunnen ergab sich ebenfalls gute Beute, wenn auch auf Kosten des königlich-bayrischen Ärars. Wundernehmen muss nur, dass auch Offiziere an den Räubereien teilnahmen. Manch reiche Familien erkauften sich wohl Schutzwachen für ihr Haus, erreichten aber dadurch nur, dass diese „Wachen" das Schutzgeld nahmen, und durch die Haustüre treten konnten, ohne sie erst einschlagen zu müssen, im Hause selbst jedoch raubten und plünderten sie, wie anderswo ihre Kameraden ohne Schutzgeld.

Die Schwazer Marktvertretung vor General Wrede im Lager bei Vomp", August Wagner, Schwaz
"Die Schwazer Marktvertretung vor General Wrede im Lager bei Vomp"
August Wagner, Schwaz

Ob all des Elends und der großen Feuersgefahr für den inneren Markt beschlossen die Gemeindevertreter und Beamten, bei Wrede selbst um Rettung und Schonung zu bitten. Ein wackerer Glasermeister, selbst schon gründlich ausgebeutet, geschlagen und nur mehr halbwegs bekleidet, übernahm die lebensgefährliche Ausgabe, die geeigneten Persönlichkeiten zusammenzurufen, über Blut und Leichen schritt die von Bergdirektor Wagner (aus Nürnberg stammend) geführte Deputation zum Hauptquartier im Vomperfeld. Landrichter Bohonowski, der ihnen höchst niedergeschlagen von dort entgegenkam, sagte ihnen nichts Gutes voraus, und in der Tat empfing sie General Wrede wie ein Rasender, beschimpfte sie einzeln und alle zusammen aufs gröblichste und ließ sie kaum zu Worte kommen. Den greisen Pfarrer Martin Wintersteller, der inzwischen mit seinem Kooperator und noch drei angesehenen Bürgern nachgekommen war, behandelte er mit geradezu ausgesuchter Rohheit. Sicherlich mehr aus Hohn als aus religiöser Regung wies er die vor ihm in die Knie gesunkenen Fürbitter an, bei einem Offiziersgrabe nebenan zu beten. Voller Trauer kehrten die Deputierten im sinkenden Abend in ihre Heimstätten zurück. Sie mussten nach allem, was sie eben erlebt, annehmen, dass die Zerstörung ihres schönen Heimatortes eine von vornherein beschlossene Sache sei.

Furchtbares ging indessen im Lergetporerhause vor. Da stürmten feindliche Krieger ein, ergriffen zunächst den hochwürdigen Herrn Johann Lergetporer, misshandelten und ermordeten den ehrwürdigen Greis! Sie drangsalierten Frau Lergetporer (geborne v. Schmuck aus Fügen) und ihre Töchter Johanna und Eleonora, indem sie ihnen die Oberkleider abrissen, sie an Schultern und Armen mit Stöcken schlugen und endlich, so zugerichtet, zu Wrede ins Lager schleppten. Von diesem beschimpft und von Offizieren mit Drohungen mit Erschießen, Ersäufen, Zerhauen erschreckt, wurden sie schließlich doch freigelassen, und es gelang ihnen, nach Georgenberg zu entkommen. Hauptmann Lergetporer traf dort mit ihnen am nächsten Morgen zusammen, nachdem er als „Vogelfrei" Erklärter im Stiftsgute Heuberg übernachtet hatte.

Noch abends hatte sich das Feuer über den ganzen Marktteil Lange Gasse, 70 Häuser samt Spital und Spitalskirche, ausgebreitet.

Angeblich sollen doch Soldaten zum Löschen kommandiert worden sein, in der Tat scheinen sich diese mehr aufs Plündern, wenn nicht gar auf weiteres Brandstiften verlegt zu haben. Während der Nacht loderten an mehreren Stellen des inneren Marktes Feuer auf, die Marktstraße, durch den feuersichern Bau der mächtigen Pfarrkirche geschützt, hielt am längsten stand; auf die ausgetrockneten Hausdächer geworfene Feuerbrände taten jedoch auch da ihre Schuldigkeit und schließlich war auch dem Dachboden des Palais Tannenberg beizukommen gewesen.

Auf dem Platze, wo sich jetzt die Gebäude der Tabakfabrik erheben, standen damals das Dreifaltigkeitskirchlein, schon im 15. Jahrhundert erbaut, das Bruderhaus, das als Spital und Versorgungshaus für kranke, alte und arbeitsunfähige Bergknappen aus Beiträgen der Gewerken und der Knappenschaft selbst („Brudergeld") errichtet und erhalten worden war, und nebenan eine Badeanstalt und das Rosenwirtshaus. Dies alles ging nach gründlicher Plünderung und Zertrümmerung in Flammen auf.

Und von allen Feuerstellen fraßen und züngelten Flammen weiter, bis der ganze Markt von ihnen erfasst war. Außer der Pfarrkirche blieb nur noch die Franziskanerkirche verschont, hauptsächlich deswegen, weil die vor ihr stehenden prächtigen Lindenbäume, selbst schon angesengt, alle Flugfeuer vom Kirchen- und Klosterdach abhielten.

So war das Elend und die Bedrängnis der Bevölkerung von Schwaz aufs höchste gestiegen. Als an diesem Dienstag abends der Oberbefehlshaber Marschall Lefebre, Herzog von Danzig, vom Schlosse Rotholz ins Vomper Lager nachkam, konnte er mit eigenen Augen das von seinen Divisionen vollbrachte grauenvolle Werk überschauen und darauf seinem Herrn und Meister Napoleon von diesem „Sieg" Bericht erstatten!

Die entsetzliche Feuerröte, die himmelhoch in die Dunkelheit der Neumondnacht aufstieg, leuchtete schrecklich landauf, landab und wurde selbst in München bemerkt, nur irrte man dort in der Richtung, indem man die Brandstätte am Wendelstein oder bei Kufstein vermutete.

Die wilde Soldateska schien jetzt, nachdem all das Ungeheuerliche geschehen war, doch zur Ernüchterung zu kommen. General Wrede bequemte sich sogar, in der Brückenmühle am Vomperbach mit dem Schützenmajor Teimer lange Verhandlungen über einen 36stündigen Waffenstillstand zu pflegen. Seine und Deroys Division hatten eben auch sehr erhebliche Abgänge an Gefallenen, Verwundeten und Kranken und brauchten notwendig eine Ruhepause. Aus diesen Lagertagen stammt die Begräbnisstätte feindlicher Krieger in der Nähe des Bildstöckls (Pestsäule) auf dem Wege von Schwaz nach Vomp.

Hätte Wrede gewusst, wie wenig Schützen noch hinter Teimer stünden, so hätte er sich nicht um den Waffenstillstand bemüht. Das Lager in Volders war nämlich gerade in vollster Auflösung, da General Buol mit seinen Truppen in dunkler Nacht gegen das Wipptal abgezogen war und viele Schützen höchst erbittert den Heimweg antraten. Nur wenige Kompagnien folgten Teimer abwärts des linken Innufers. Wie sehr hat damals bei der Volderer Brücke ein Speckbacher gefehlt! Doch der stand an all den Tagen des Wirrwarrs dahier immer dem Feinde an der Flanke, immer im Gefechtsfeuer!

Erst am Freitag, den 19. Mai, um 9 Uhr vormittags, verließen die Feinde die Lager in den Vomper Feldern und rückten, Lefebre und Deroy auf der Hauptstraße nach Pill, Wrede auf der andern Talseite, über Vomperbach und Terfens gegen Innsbruck vor. Wie manchem Mann mag schreckliche Rache für unmenschliches Tun und Handeln nachgefolgt sein!

Konnte Schwaz jetzt aufatmen, sich frei fühlen? O nein, viel zu sehr war es geschlagen! Ohnehin seit Abnahme des Bergsegens und durch verheerende Lahnbachausbrüche — der letzte war erst vor zwei Jahren erfolgt — verarmt, war jetzt noch dieses größte Unheil über den Markt gekommen! Alles Hab und Gut dahin, die fruchtbaren Felder vor Schwaz und jenseits des Inn niedergetreten wie Straßenpflaster!

„Die Pfarrkirche und Kirche und Kloster der Franziskaner ragen wie Inseln aus dem Ruinenmeer heraus," schrieb Pfarrer Wintersteller, der selber so ausgeplündert worden war, dass er erst Kleider leihen musste von einem geistlichen Freund, um ausgehen zu können.

Es waren verbrannt: 3 Kirchen, 2 Spitäler, 420 Häuser, darunter 6 ärarische Gebäude, 6 Getreidemagazine, die Erzkästen, sehr große Vorräte von Amtsholz auf dem Rennhammerplatz, alle Ställe und Scheunen, alle Lebensmittel. Eine damalige Schätzung beziffert die Schadensumme wie folgt: An Gebäuden 652.795, an Mobilien 706.330, an Plünderung 258.926, zusammen 1,618.051 Gulden. Davon entfiel auf Kaufmann Lergetporer allein ein Schaden von 38.000, auf Martin Hußl, der eben in diesem Jahre seine Steingutfabrik auf dem ehemals v. Millauschen Gute Oberweidach errichtet hatte, ein solcher von 19.000 Gulden. Grafen Tannenbergs Verlust in der Höhe von 400.000 Gulden und der des königlich bayrischen Ärars von mindestens 100.000 Gulden ist in obiger Summe nicht eingerechnet. Nicht gerechnet sind auch die Schäden des niedergebrannten Dorfes Vomp und des geplünderten Stiftes Fiecht. Schon vor zwei Jahren von Bayern beschlagnahmt, war auch dieses „ärarische" Gut von wilden Reiterhaufen überfallen worden, wobei Pater Jakob Anderer einen Säbelhieb in die Hand bekam, sonst aber kaum Blut floss.

Der bayrische Richter Bohonowski beziffert noch im August den Schaden des Marktes Schwaz auf 4 Millionen und ein anderer amtlicher Bericht aus derselben Zeit besagt, dass niemand in Schwaz ein Bett besitze und nicht 200 einen Strohsack zu eigen hätten. (Hirn.)

Wie wäre aber diesem materiellen Schaden gegenüber das unsagbare Wehe über die entsetzlichen Mord- und Freveltaten, die grauenvollen Massakrierungen und Schändlichkeiten, wie die Schrecken und Qualen der Todesopfer zu bemessen? Selbst ein feindlicher Soldat soll, an das v. Millausche Haus in der Marktstraße (jetzt Bezirkshauptmannschaft) gelehnt, erschüttert ausgerufen haben: „Großer Gott, du bist gerecht, wie wirst du einst diese schrecklichen Greueltaten strafen!" Bayrische Beamte klagten später dem König: „Wir haben alle Schrecken durchgemacht, welche die Menschen Menschen bereiten können." (Rapp.)

Der Brand von Schwaz und Vomp hat ganz Tirol zur größten Erbitterung, zur todesmutigsten Abwehr gegen diesen Feind entflammt, und von den rechten Männern gerufen, standen sofort Schützen und Landstürmer in Menge bereit. In der zweiten und dritten Berg-Isel-Schlacht (25. und 29. Mai) gründlich geschlagen, mussten Lefebre, Wrede und Deroy in eiliger Flucht das Land verlassen; zehn Tage nach dem Vormarsch gegen Innsbruck stob der grimme Wrede mit seinen grausamen Truppen bei Nacht und Nebel über die ehemaligen Lagerstätten in den Vomper Feldern landab. Ein geringer Trost für das zutiefst getroffene Schwaz!

Das stattliche, alte Lergetporerhaus war der vollständigen Vernichtung anheimgefallen, an die Wiederherstellung konnte die so schwer geschädigte Familie gar nicht denken. Dem Sohne Johann, der schon 1801 das Habtmannsche Haus und Geschäft (an der Stelle, wo jetzt das Gebäude der städtischen Sparkasse steht) erworben und sich selbständig gemacht hatte, glückte es jedoch, sein Geschäft gleich nach dem Jahre 1809 neu zu begründen und zu ansehnlicher Höhe zu bringen.

Vater Lergetporer wirkte trotz des erlittenen Unglücks unter überaus großen Mühen und Gefahren sowie unter den bangsten Sorgen für seine mit elf Kindern gesegnete Familie an den weitern Kämpfen jenes Jahres in treu österreichisch-tirolischer Gesinnung mit und wurde 1810 in Linz als k. k. Hauptmann pensioniert. (Der Sohn Alois wurde Kaufmann in Salzburg und bekleidete von 1831 an durch viele Jahre die Stelle des Bürgermeisters dieser Stadt.)

Die Bauern der zunächst gelegenen Berghänge leisteten wohl den armen Marktlern nach wie vor nach besten Kräften Hilfe und Beistand, das konnte jedoch bei der überaus großen Menge der Notleidenden nur wenig genügen. Da ferner die Zufuhr von weiter her durch die Unruhe jener Zeit stark behindert wurde, so dauerte die bittere Not lange, lange an. Ja, es fand sich sogar noch fremdes Bettelvolk ein, um das allgemeine Mitleid mit Schwaz zu „Geschäftszwecken" auszunützen. Landes- oder Reichshilfe war vorderhand nicht zu erreichen. In der kurzen Zeit, in der sich die bayrische Herrschaft noch halten konnte, wurden zwar noch etliche Häuser — man spricht von jährlich zehn — von Bayern aufgebaut, stärkere Hilfe setzte aber erst nach der Wiedervereinigung Tirols mit Österreich ein. Besonders tat sich wieder die Privatwohltätigkeit hervor, denn man erkannte und fühlte jetzt in den weitesten Kreisen: Schwaz hat für ganz Tirol gelitten!

Quellen: Egger, Hirn, Rapp, Staffler, Lergetporers Tagebuch (im Museum Ferdinandeum), „Die Bürgermeister von Salzburg von 1433 — 1840" von V. Süß (Salzburg 1840), Stadtarchiv Schwaz, Pfarrchronik von St. Margareten.



Quelle: Josef Friedrich Mair, Schwaz in Kriegs- und Feuersnot, in: Tiroler Heimatblätter, Monatshefte für Geschichte, Natur- und Volkskunde, 7. Jahrgang, Heft 7/8, Juli/August 1929, S. 250 - 260.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.