Die Erinnerungen des Priesters Josef Daney


4. Brief

Reise nach Meran. Innsbruck von Baiern und Franzosen genommen. Zweifelhafte Haltung der Bauern. Wiedervertreibung der Baiern aus Innsbruck und Nordtirol.

Mich freut es ungemein, wenn Sie die Geschichte meines Vaterlandes interessant und unterhaltend finden. Im Verfolg derselben werden Sie noch sonderbare und beinahe unglaubliche Dinge lesen.

Kaum hatten die österreichischen Truppen Tirol besetzt, war auch schon beinahe alle Verbindung mit den Hauptarmeen und mit Österreich abgeschnitten. Dieses nötigte den Intendanten Freiherrn von Hormayr, schon gleich anfangs in Bozen ein Anlehen von mehr als 100000 Gulden aufzunehmen. Von Innsbruck wurde Herr Straub, Winkelwirt zu Hall, und Josef Huter von Hötting in das Hoflager zu Sr. Majestät dem Kaiser Franz abgeschickt, um Allerhöchstdero die drückende Not und die gefährliche Lage Tirols vorzustellen und um die höchst notwendige Unterstützung zu bitten. Se. Majestät der Kaiser nahmen die zwei Deputierten huldvollst auf und ließen ihnen augenblicklich 200000 Gulden und eine Menge Munition ausfolgen. Welchen Kummer und Mühe, welche Strapazen und schlaflose Nächte und wie viel Lebensgefahren diese zwei Abgeordneten bestanden haben, bis sie den ihnen anvertrauten Transport ins Land gebracht, kann ich Ihnen nicht beschreiben. Wo sie sich nur immer hinwenden wollten, waren ihnen schon die Wege vom Feinde abgeschnitten. Nur durch die sonderbarsten Bemühungen österreichischer Obrigkeiten und Untertanen gelang es ihnen endlich, den Kammer-See zu erreichen, über welchen sie sich und ihren Schatz retteten. Durch Seitenwege und über die rauhesten, steilsten Schneegebirge kamen sie endlich nach Pustertal und von dort mit ihrem Gelde nach Innsbruck, wo sie es der Kais. Kgl. Schutzdeputation übergaben.

Welche Wirkung die erwähnte Proklamation vom 4. Mai und vorzüglich die darin enthaltene Drohung, dass der Furchtsame und der Zweifler in der Stunde des heiligen Kampfes der gerechten Wut des Volkes werde preisgegeben werden, erzeugte, werden Sie bald sehen. Sie können sich denken, dass die Sieger von Eckmühl und Regensburg aus mehreren Gründen von Zorn, Wut und Rache getrieben nach Tirol marschierten. Daselbst mussten sie jeden Engpass und jede Bergschlucht mit großem Verlust durch Sturm erobern. Auf jedem Hügel, bei jeder Straßenkrümmung stellten sich die Tiroler ihnen wieder entgegen und verteidigten sich hartnäckig, bis sie endlich, von der Überzahl der Baiern auf allen Punkten geworfen, sich zurückziehen und durch Seitentäler und über Gebirge flüchten mussten. Waidring empfand zuerst die Schläge der sich wütend rächenden Baiern. Ich will Ihnen keine Schilderung machen von den in der dortigen Gegend unter Brand und Plünderung ausgeübten Unmenschlichkeiten der baierischen Soldaten. Innsbrucker Blätter, und wahrscheinlich aus diesen sogar der „Erzähler von St. Gallen", lieferten darüber lange und umständliche Berichte. Sie werden sie wahrscheinlich gelesen haben. Ich will glauben, dass die Beschreibung der Tigerwut des baierischen Militärs und die Schilderung, welche uns der Bericht vom 10. Juni über die im Unterinntal verübten Grausamkeiten lieferte, zu hoch gespannt worden sei. Indessen ist es doch unleugbar wahr, dass mehrere Unbewaffnete, Weiber und Kinder niedergemetzelt und Vieh und Menschen verbrannt worden sind. Mit der Person, welche zu Waidring die aus dem aufgesprengten Tabernakel herausgeworfenen und in der Kirche zerstreuten und mit Füßen getretenen heiligen Hostien aufgehoben und in einem Papier gesammelt dem im Gebirge versteckten Ortspriester zugetragen hat, habe ich auch zu Waidring, als ich einmal durchreiste, im Posthause selbst gesprochen. Der baierische Gefreite, welcher einem schwangeren Weibe den Bauch aufgeschlitzt und ein kleines Kind an ihrer Seite umgebracht hat, heißt W. . . . r und ist nach Beendigung des Krieges Kgl. Polizeidiener zu S .... g geworden. Ich habe mit Männern gesprochen, denen er selbst mit Wohlgefallen seine Unmenschlichkeit erzählte....

Kaum war General Cliasteler, wie ich Ihnen im vorigen Briefe erzählte, bei Wörgl geschlagen und sein Armeekorps aufgelöst, wurde schon aller Orten der Landsturm aufgeboten. Der Freiherr von Hormayr und der General Chasteler, welcher auf seiner Retirade zu Hall sogar von den Weibern schrecklich misshandelt und herumgezogen wurde und der schwerlich durchgekommen wäre, wenn ihn nicht Herr Straub in Schutz genommen und gerettet hätte, hatten keine Lust mehr, von den Wirkungen des Mutes, welchen sie in der Stunde des heiligen Kampfes den Tirolern zu geben versprachen, Augenzeugen zu sein, und flüchteten sich beide über den Brenner. Die baierische Armee rückte rasch über Rattenberg, welches der Herzog von Danzig aus dem Grunde, weil er auf dem Stadttore den österreichischen Adler erblickte, anzuzünden befahl und welches seine Rettung einzig den Vorstellungen des Generals von Wrede zu verdanken hatte, ohne bedeutenden Widerstand bis vor Schwaz. Am 14. Mai besetzte der Kais. Kgl. Generalmajor von Buol mit etlichen Kompanien Soldaten, die eiligst von der Scharnitz zurückberufen worden, und mit einigen Kanonen, unterstützt von dem Landsturm, die Anhöhen und die Gegend bei Volders. Die von den Gebirgen und Tälern herbeiströmenden Landstürmer zogen auch in Innsbruck die Sturmglocke an, und alles ohne Ausnahme, was nur immer Waffen tragen konnte, musste nach Volders und noch weiter hinunter gegen Schwaz und Vomp marschieren.

Als General Wrede, über den Verlust des Majors Zeiger, welcher von den Tirolern an der Ziller Brücke erschossen wurde, äußerst erbittert, gegen Schwaz anrückte, war dieser Ort höchstens von einer Kompanie Österreicher, einer halben Kompanie Jäger und 300 Landstürmern besetzt. Diese wollten sich auch schon zurückziehen, als am 15. zwei Landsturmanführer herbeieilten und die Mannschaft zur Gegenwehr aufforderten. Der Landrichter von Schwaz, Herr Bohonowsky, Herr Bergdirektor von Wagner, der Dekan Stadtpfarrer und einige Bürger wollten dem General von Wrede entgegengehen und die Stadt seiner Gnade und Schonung anempfehlen, weil sie wohl einsahen, dass bereits alles verloren war; allein die Bauern ließen keine Deputation über ihre Posten hinaus. Im Sturmschritt drangen die Baiern in Schwaz ein und beinahe bis auf den Stadtplatz vor. Da sie aber in den Straßen den heftigsten Widerstand fanden und auch aus mehreren Häusern auf sie geschossen wurde, so mussten sie sich nach dreimal vergebens wiederholtem Sturmanmarsche doch immer mit großem Verluste wieder zurückziehen. Daher befahl der kommandierende General Wrede, die Stadt mit Haubitzen zu beschießen und die Insurgenten und das wenige österreichische Militär mit Gewalt hinauszuwerfen. Nun wurde Schwaz erstürmt, geplündert und an mehreren Orten zugleich angezündet. Das Knappen-, Berg- und sonstiges Gesindel der Stadt nahm an der Plünderung seiner Mitbürger einen wesentlichen Anteil. In wenigen Stunden war die schöne Kreisstadt Schwaz ein Raub der Flammen und unschuldig ein Opfer wechselseitig zweckloser Wut geworden.

Stellen Sie sich nun wieder die bange Erwartung und die ängstlich marternden Besorgnisse der guten Bürger von Innsbruck vor. Die beiden an diesem Tage dem Volke mitgeteilten nachstehenden Berichte vermochten die bereits schon niedergeschlagenen Gemüter der rechtlicheren Männer wenig mehr aufzurichten.

„An sämtliche Postämter bis Innsbruck.
Herr von Anreiter gab mir Unterzeichnetem vom 9. dieses aus Leoben abends ½ 6 Uhr die erfreuliche Nachricht, dass die Feinde bei Enns und Ips geschlagen wurden und in Unordnung durch Ober-Österreich retirieren, dass durch eine unvermutete Evolution des Erzherzogs Karl, Kais. Hoheit, das Korps des Marschalls Massena größtenteils und er selbst gefangen und nach Wien gebracht worden sei.
Klagenfurt, den 11. Mai 1809, Pausinger."

„Diese erfreuliche Nachricht ist von Klagenfurt estaffetaliter an alle Postämter bis Innsbruck bekannt gemacht worden.
Freiherr von Buol, General.“

„Von Seiten des Kais. Kgl. Platzkommando wird hiermit bekannt gemacht, dass 2 Kais. Kgl. Hauptleute als Kouriere an den Feldmarschalleutnant und des 8. Korps-Kommandanten Marquis von Chasteler abgegangen mit der angenehmen und erfreulichen Nachricht, dass der Feldmarschalleutnant Jellachich zu St. Johann stehe und dieses feindliche Korps, welches gegenwärtig im Unterland stehet, ohne Zweifel gefangen nehmen werde.
Innsbruck, den 15. Mai 1809.
Viktor Baron von Lochau, Platzkommandant."

Denken Sie sich, was man uns alles glauben machen wollte. Ja, Freund! die Verwirrung und der Jammer soll in diesen Tagen zu Innsbruck allgemein und ganz sonderbar gewesen sein. Was sich in und um die Hauptstadt herum von diesem Tage an bis zum 20. Juni ereignet, kann ich Ihnen nicht mehr als Augenzeuge berichten; denn ich habe am 15. Mai nachmittags mit dem Herrn Appellationsrat von Peer, seiner Frau und dem jungen Baron von Mont Innsbruck verlassen; doch habe ich mich nach meiner Rückkehr genau um alle Begebenheiten erkundigt, und die ich Ihnen mitteile, meist von Augenzeugen erhoben. Nur muss ich Ihnen zuvor den sonderbaren Schabernack, welcher uns auf unserer Reise von Innsbruck bis Meran gespielt wurde, berichten.

Als wir über die Innbrücke gegen Mariahilf kamen, brach eine Kette, welche über unsere Reisekoffer gespannt war. Daher mussten wir anhalten, bis ich in die Stadt zurücklaufen und Stricke kaufen konnte. Im Zurücklaufen hörte ich ein Kotlackler Weib zu einigen Landstürmern sagen: „Secht's, Mander! wie man's enk macht; z'erst hab'n d' Herrn s' Land verkaft und enk a, und itzt mach'n si si durch mit'n Geld. Kuan fort lass'n sollt's." Kaum gesagt war unsere Kutsche schon von mehreren Bauern umringt. Einer sagte dem andern: „Du, dö hab'n s' Land verkaft." Sie können nicht glauben, welche Mühe wir hatten, uns noch loszuwinden und fortkommen zu können. Endlich nach verschiedenen Vorstellungen ließen sie uns fahren und wir kamen, ohne ferners angehalten zu werden, bis Zirl. Dort trafen wir den Landsturm vom Ötztal und Oberinntal an. Unser schwer bepackter Wagen erregte Aufsehen. Die Bauern drangen zwar ungestüm auf uns ein, indessen erkundigten sie sich bloß um die Lage der Dinge. Wir sagten ihnen, was wir vorteilhaftes wussten, nämlich die oben erwähnte Nachricht von Pausinger und die vom Herrn von Lochau, und dass der General von Buol die Anhöhen bei Volders besetzt halte. Was wir aber sonst noch wussten, verschwiegen wir hochweislich. So kamen wir auch noch von Zirl ohne Hindernis weiter. Allein kaum hatten wir etwas mehr als den halben Weg von Zirl bis Plattel 1) zurückgelegt, kam uns ein Postknecht im vollsten Galopp nachgeritten und schrie unserm Kutscher

*) Plattel oder Plattele, in der Nähe von Telfs.

zu: „Halt! die Kutscha muß den Augenblick z'ruck!" — „Warum zurück?" fragte ich. — „Es ist a Baura Staffeta vo Spruck aucha kemma, und die hat g'sät, ma soll enk den Augablick nachsetza und z'ruck liefera", erwiderte er mir. Unser Postillion wollte auch wirklich die Kutsche schon umkehren; ich kam mit ihm in einen heftigen Wortwechsel. Es würde aber alles nichts genützt haben, wenn nicht ein gewisser Herr von Aigner von Telfs ungefähr dazu gekommen und den Kerl bewogen hätte, wenigstens bis auf die nächste Post Plattel zu fahren.

Kaum war ich dort ausgestiegen, nahm ich gleich eine Postchaise und ließ mich von dem nämlichen Postillion wieder nach Zirl zurückführen. Zuvor aber gab ich dem Herrn Baron v. Mont mein Kgl. baierisches Anstellungsdiplom und alle meine Briefe, die ich vom Kgl. baierischen Minister zu Rom bei mir hatte, und behielt nichts in meiner Brieftasche als unsern Reisepass, mein früheres Anstellungsdekret vom Bischof von Chur, verschiedene Dekrete vom bischöflichen Konsistorium zu Brixen und allerhand päpstliche Schriften, alle mit den Schlüsseln des hl. Petrus und mit verschiedenen Bischofsmützen und Infeln gestempelt. Nun so des besten Erfolgs ganz gewiss, trat ich, ohne Zeit zu versäumen, meine Rückreise an. Dem Postillion zeigte und versprach ich einen ganzen Taler Trinkgeld. Sie können sich denken, wie schnell ein Postillion zufährt, wenn er einen Taler Trinkgeld zu bekommen weiß. Wir hatten kaum den halben Weg zurückgelegt, kamen schon 10 Landstürmer von Zirl die Straße heran gelaufen, die uns von weitem zuriefen, wo die Kutsche sei. „Männer," sagte ich ihnen, „die Kutsche steht zu Plattel, die entgeht euch nicht mehr, nur bitte ich euch, misshandelt den gnädigen Herrn nicht." — „Was gnädige Herra", schrien sie mir plötzlich zu, „mier kenna kuana gnädige Herra numma, itzt sein mier gnädige Herra" usw., und so liefen sie eiligst Plattel zu. Ein kleiner Bub, der mit ihnen herbeigelaufen kam, kehrte um und setzte sich hinten auf die Chaise. Diesen fragte ich zufällig im Herabfahren, warum er denn mit den Bauern nach Plattel habe laufen wollen? „Zuschaug'n hon i wöll'n, wie sie enk derschieß'n," war seine Antwort, „z' Zirl hab'n die Bauern g'sagt, sie wern enk derschieß'n und itzt geh i z'ruck und schaug unt'n zue." — Nun dachte ich: wenns so ist, werde ich wieder ein hübsches Stück Arbeit bekommen. Ich kam nach Zirl. Alle Gassen und Fenster waren voll von Landstürmern. Obschon mich kein Mensch kannte, niemand meine Verhältnisse wusste, schrie doch alles, Jung und Alt, Männer und Weiber: „Schlagt ihn ab, hängt ihn auf!" — Ich schrie aber noch heftiger: „Ist kein Hauptmann, kein Kommandant da?" Der Zug ging mit mir ins Nagelsche Wirtshaus.

Dort wurde ich dem Herrn v. Wörz von Imst vorgestellt. Schon aus dem redlichen Blicke dieses guten, rechtlichen Mannes schloss ich auf dessen Kopf und Herz. Ein paar recht artige, gut gekleidete junge Männer standen ihm zur Seite. Ich öffnete meine Brieftasche, wies dem Herrn v. Wörz unsern Reisepass und legte absichtlich meine übrigen Schriften hinter mir auf einen Tisch hin. Freund! Das Volk ist in gewissen Augenblicken und Verhältnissen ein Kind, und Kindern muss man etwas zu tändeln geben und dann, wenn sie aufmerksam sind, schöne, empfindsame Dinge erzählen. Wie ich mirs dachte, so ging es auch. Jeder wollte meine Schriften durchsehen. Allein schon die verschiedenen Siegelgepräge waren ihnen ehrfurchtsvolle Rätsel. Vorzüglich machte sie ein großer römischer Ablassbrief mit dem Brustbilde des Papstes, mit den Bildnissen der Apostelfürsten und den sieben Hauptkirchen von Rom aufmerksam. „Du, dös muaß a rechter Herr sein", sagte schon einer zum andern. Jetzt nahm ich das Wort und erzählte ihnen etwas von Rom, vom Papste und den römischen Ablassbriefen. Sie nahmen, wie ich den Papst nannte, gleich die Hüte ab, gingen nach einer kurzen Erzählung davon und klärten ihre außer dem Hause und auf den Gassen noch herum wütenden Kameraden rücksichtlich meiner Person auf. Ein einziger kehrte noch auf der Türe um und sagte mir: „Aber recht k'hät hoba mier halt döcht, daß mier Si hoba arretira wölla." — „Landsmann", sagte ich ihm, „Ihr habt das Recht, nach Euren jetzigen Umständen jedermann, der Euch verdächtig scheint, anzuhalten, aber dann müßt Ihr das übrige Eure Kommandanten und Hauptleute untersuchen und einzig sie sprechen und urteilen lassen." — „Wenn mier nu recht k'hät hoba, itzt könnt's scho fahra, secht's wohl, d' Herra sein g'rad sovl Lumpa", sagte er und ging auch davon.

Indessen diktierte Herr v. Wörz einem seiner Adjutanten nach altem Kanzleistile: „Wasmassen Se. Hoch und Wohlgeboren Titl" usw. usw. in einem ellenlangen Periodikon einen neuen Reisevorweis und bot mir einen Kommis von der v. Stieleschen Handlung zu Imst, einen sehr vernünftigen jungen Mann, zur Begleitung an, damit ich desto ungehinderter nach Plattel zurückkommen und von dort die 10 Landstürmer wieder nach Zirl weisen könnte. Ich ging inzwischen auf die Post, Pferde zu bestellen, und als ich zurückkam und Herr v. Wörz eben sein Petschaft auf den neuen Vorweis drückte, kam ein Bauer von Innsbruck her im vollsten Galopp durchs Dorf geritten und schrie auf dem Platze: „Auf, Mander! Die Boara brecha schon bei Volders aucha! Der ganze Landsturm soll af Kranawitta!" Jetzt wurde der Satan neuerlich los. Die Landstürmer wurden ganz wütend. Nun hörte man nichts anderes mehr als: „Auf, Mander! Af Spruck ocha! D' Herra derschlaga, d' Stadt plündera! G'scheider hoba's mier, as d' Boara!" In diesem Lärm nahm sich zum Glück keiner mehr Zeit, auf mich acht zu geben; da ging es wieder wie zu Babylon durcheinander. Die Männer schrien, trommelten und jauchzten, die Weiber weinten, heulten und schimpften über die Stadtherren und sprachen den Bauern zu, sie sollten nur alle erschlagen. Ich ging in den Pferdestall, versprach dem Postknechte ein gutes Trinkgeld und so kam ich, von dem obenerwähnten Kommis begleitet, glücklich und sehr schnell wieder nach Plattel zurück. So rasch ging die ganze Geschichte vorüber, dass der Herr Appellationsrat es kaum glauben wollte, dass ich in so kurzer Zeit in Zirl gewesen und von dort schon wieder da sein könnte.

Augenblicklich trat ich ins Zimmer, wo die 10 Bauern auf unsere Unkosten zechten. Ich ließ ihnen noch einige Maß Wein einschenken, trank ihnen die Gesundheit, wies ihnen unsern Vorweis vom Herrn v. Wörz, welchen der Kommis bestätigte, und gab jedem drei Zwanziger, indem ich ihnen noch sagte: „Nun, Männer, da Ihr den Weg hierher unsertwegen habt machen müssen, so ist es billig, dass wir euch auf einem Wagen zurückführen lassen." — „Um sella tata mier scho bitta, hobat uns holt nuit für übl", sagten sie und wünschten uns eine glückliche Reise. Wir bezahlten dem Posthalter ihre Zeche und den Rückfuhrlohn, reisten augenblicklich ab und kamen, nachdem wir Tag und Nacht gefahren, unangehalten glücklich bis Mals. Von Burgeis, wo der Appellationsrat beim Rentbeamten Baron von Mont zurückblieb, bis Mals fuhr ich allein. Als ich dort auf dem Platze ausstieg, näherten sich mir gleich verschiedene Bürger von Mals, u. a. auch ein gewisser Johann Schmidinger von Schlanders und Math. Trafojer von Kortsch, und wollten von mir allerhand Neuigkeiten und Dinge wissen. Auch diesen erzählte ich, was ich in Pausingers und Baron v. Lochaus gedruckten Nachrichten gelesen, und als mir die zwei letzteren sagten: „Dös war wohl eppas guet's", so erzählte ich ihnen so manche Anekdote, die ich von Massénas kriegerischen Taten wusste.

Am ersten Tage meines Aufenthaltes in Mals waren beinahe alle Malser, die mir begegneten, gerade so wie damals, als ich von Rom zurückkam, mit mir verwandt. Am 2. Tage erblickte ich schon ganz andere mürrische Gesichter. Auf den Gassen wichen mir die Menschen ab und niemand zeigte sich mehr als mein Vetter. Meines Vaters Bruder plapperte mir höchst unsinnig eine ganze Litanei Landverkaufereigeschichten und eine Menge Prophezeiungen, dass die Bauern bald alle Herren erschlagen werden, vor. Ich merkte gar bald, wo seine Worte hinzielten. Und wirklich kam ein anderer meiner Anverwandten zu mir und sagte mir mit sehr bedenklicher Miene, ich möchte dem Appellationsrat sagen, er möchte sich von Mals entfernen, es gehe unter dem Volke die allgemeine Sage, wir hätten das Land verkauft und wollten uns mit dem Gelde in die Schweiz flüchten. Risum teneatis amici! 2) Doch wurde mir der Spaß ernsthafter, als auf einmal vom Herrn v. Plawen, damals Kommandant vom Untervinschgau, an den Herrn Stecher zu Mals durch eiligste Ordonnanz auch noch die Anzeige kam, es hätte sich von Mals her in Laas, Schlanders und Latsch die Sage verbreitet, Masséna habe den Erzherzog Karl gefangen und ihn bereits schon nach Paris bringen lassen. Ich verstand augenblicklich, dass diese Münze auf mich geschlagen war. Am Abend kam auch noch Herr P. . . r, des Herrn v. Plawen damaliger Adjutant, stieg mit majestätischem Kais. Kgl. Adjutanten-Ansehen in der Wirtsstube auf und ab und würdigte mich keines einzigen seiner erhabenen Blicke. Bloß einem anderen sagte er spöttisch lächelnd, es sei ihm bereits gelungen, einen geistlichen Herrn als den Verbreiter der widrigen Nachrichten zu entdecken. Ich sagte kein Wort dazu und beruhigte mich, weil ich wohl einsah, dass sich die ganze Geschichte auf eine niedrig lügenhafte Verdrehung meiner Aussage gründete

2) Dass ihr nicht lachet, Freunde!

und weil es gerade der Kommandant Stecher war, welchem ich Pausingers Nachricht mitgeteilt hatte. Indessen getraute ich mich doch nicht, dem Appellationsrat die Gefahr unseres Aufenthaltes in Mals und was ich gesehen und gehört habe, zu eröffnen; denn er hatte für die dortige Gegend und Menschen teils als geborener Vinschgauer, teils weil er mehrere Jahre Obrigkeit zu Glurns war, eine ganz besondere Vorliebe und Neigung. In der Nacht aber kam Herr Senn, entdeckte ihm die Gefahr, die uns drohte, und riet ihm ganz freimütig, Mals zu verlassen, worüber ich mich herzlich freute, denn dieselben nachbarlichen Karner von Laatsch waren mir schon von jeher als sehr unsanfte liederliche Landsleute bekannt. Am 20. reisten wir also von Mals ab. Durch ganz Vinschgau legte man uns weiter kein Hindernis mehr in den Weg. Die Schlanderser, meine Dorfbrüder, soll es nachher sehr gereut haben, dass sie uns so ungehindert passieren ließen. Freund! Ich berichte Ihnen diese Geschichte, die an und für sich gar nichts merkwürdiges ist, einzig aus dem Grunde, dass Sie sehen, welche Stimmung damals unser Volk herumtrieb und was oft bei stürmischen Auftritten ein einziges Wort einer unbedeutenden niedrigen Seele für Gärungen erregen und für Folgen nach sich ziehen kann. — Am 21. Mai als am Pfingstsonntage kamen wir nach Meran.

Nun muss ich Sie wieder mit meiner Erzählung nach Innsbruck und Volders zurückführen. Am 16. Mai hatte sich der Landsturm teils unter Volders und teils auf der linken Innseite am Vomperbach aufgestellt. An diesem Tage wurde auch Vomp abgebrannt. Wie verwirrt es übrigens in der dortigen Gegend an diesen Tagen ausgesehen hat, können Sie aus nachstehendem Briefe des Generals v. Buol entnehmen. 3)

3) Dieser aus Volders vom 16. Mai 1809 datierte Brief ist hier nicht mit abgedruckt.

Mit diesem Schreiben in der Hand erschienen sie um 6 Uhr morgens, als die baierischen Truppen schon zum Angriffe bereit standen, bei dem General v. Wrede und baten um 24stündige Verlängerung des Waffenstillstandes. Er gab ihnen schriftlich die Erklärung, dass die Verlängerung nicht bewilligt werde. — Gegen 9 Uhr machte der General den Bauern neuerlich über ihre missliche Lage und über ihren zwecklosen Widerstand die kräftigsten Vorstellungen. Mit Schlag 9 Uhr brach die Division auf dem linken Innufer auf, und der Herzog von Danzig folgte mit der 3. Division auf dem rechten Ufer. Nun geschah kein Widerstand mehr und die Truppen rückten, zum Teil vermischt mit den nach Hause kehrenden Landstürmern, durch Hall, ohne dass im geringsten eine Feindseligkeit mehr vorfiel, nach Mittag unter dem anbefohlenen Geläute aller Glocken in Innsbruck ein. Daselbst hielt General Wrede in der Neustadt dem Volke eine donnernde Rede, und der Herzog von Danzig erließ eine Proklamation. Am 20. setzte der Herzog die Autoritäten, welche vor der Insurrektion von Kgl. baierischer Seite angestellt waren, allsogleich wieder in Aktivität.

Die Bauern vom ganzen nördlichen Tirol hatten sich bereits ruhig in ihre Heimat begeben. Am 5. Mai warf der Oberstleutnant Graf Leiningen von Hohenlohe-Bartenstein die Kolonne des französischen Generals Rusca, die zwei Tage lang durch ihre große Übermacht Trient behauptet hatte, in Valsugan zurück. Nach einem kurzen Gefechte bei Ospedaletto floh sie über Primolano gegen Bassano. Da die Kais. Kgl. Truppen und die vom besten Geiste beseelten Landesverteidiger schon Ravazzone und Serravalle, andererseits aber Levico besetzt hatten, schwebte jene Kolonne in der bestimmten Gefahr, völlig abgeschnitten zu werden. Zur Ehrenrettung Trients wird bemerkt, dass es zufolge der gepflogenen strengen Untersuchung keine Bürger dieser Stadt, sondern einige in die Häuser eingedrungene feindliche Voltigeurs waren, die, als Graf Leiningen nach vierstündigem, heldenmütigem Widerstande mit seinem Häuflein Tapferer sich zurückzog, aus den Fenstern auf ihn schossen. General Chasteler sammelte die bei dem Treffen zu Wörgl versprengten Truppen und zog sich nach Pustertal hin. General v. Buol hielt mit seiner wenigen Mannschaft den Brenner besetzt. Man sagte mir, die dortigen Bauern hätten ihn gleichsam gezwungen, diesen wichtigen Posten nicht zu verlassen. Major Teimer und der Intendant Freiherr v. Hormayr begaben sich über Bozen, Meran und Vinschgau nach Oberinntal. Schon vorläufig war von ihnen der Landsturm aller Orten aufgeboten.

Als ich am 21. Mai, wie ich Ihnen schon oben sagte, nach Meran kam, traf ich daselbst alles in der heftigsten Gärung an. Alles musste zu den Waffen greifen. Die Bauern forderten die Bürger auf, und Herr F. v. G . . . ., damals Hauptmann der Bürgergarden, erklärte, dass jeder ohne Rücksicht des Standes oder Amtes ausrücken müsse. Schnell musste jeder marschfertig sein. Mein Freund, Herr Joseph Schweigl, der ebenfalls, weil er bei der Bürgergarde die Stelle eines Fouriers bekleidete, in der Eigenschaft eines Kassameisters auszurücken gezwungen wurde, ersuchte mich, sein Haus zu beziehen und während seiner Abwesenheit die Aufsicht seiner Wirtschaft zu übernehmen. Dieses Zutrauen meines Freundes freute mich ungemein. Der Landsturm von Passeier und von der Gegend von Meran rückte noch am nämlichen Tag nach Passeier und dann über den Jaufen nach Sterzing. Herr Teimer war indessen schon nach Schlanders geeilt und hatte ganz Vinschgau alarmiert. In Schlanders fand Teimer schnell wieder so eine Bereitwilligkeit und so einen Anhang, dass es noch in öffentlichen Blättern als beispiellos getreu gepriesen wurde. Daselbst wurde dem Herrn Teimer der Johann Alber, einer der wohlstehendsten, rechtlichsten Männer in der ganzen Gegend, der sich schon in den früheren Landesverteidigungsepochen, als Tirol noch österreichisch war, besonders ausgezeichnet hatte, gleichsam als Schutzmann mitgegeben. Von Schlanders eilte Teimer nach Oberinntal, um auch den dortigen Landsturm aufzubieten. Am 22. kam auch der Intendant Freiherr v. Hormayr nach Meran und bestellte dort eine Menge Wagen, das von Bozen nachkommen sollende österreichische Militär nebst Munition schleunigst durch Vinschgau nach Oberinntal zu führen. Ebenso mussten auch in Schlanders eine Menge Wagen in Bereitschaft stehen.

Hormayr begab sich unterdessen nach Nauders nahe an der Schweizer Grenze, verweilte dort einige Tage und wurde der vielen Strapazen, wahrscheinlich aber der nicht gar zu glänzenden Aussichten wegen etwas unpässlich. In Schlanders und Meran standen die bestellten Wagen schon mehrere Stunden auf dem Platze. Man harrte mit bangster Erwartung auf die versprochenen Kais. Kgl. Truppen und die so notwendige Munition. Allein diese konnten nicht kommen, indem in Bozen kein einziger österreichischer Soldat zu erfragen war. Nun kamen Thoman Wellenzon und noch ein Bauer von Schlanders nach Meran und eilten nach Bozen, dort die ihnen vom Intendanten verheißene Munition zu erheben und an ihre Bestimmung zu liefern. Weil ich eben eine gute Gelegenheit fand, begab auch ich mich nach Bozen, teils den mit seiner Familie dahin geflüchteten Grafen Sarnthein zu besuchen, teils von Neugierde, zu sehen und zu hören, was man denn über die dermalige Lage und Umstände der Dinge in Bozen spricht, getrieben.

Am Abend kam ich im Wirtshause beim Nachtessen mit den beiden erwähnten Schlanderser Bauern am nämlichen Tische zu sitzen und fragte sie, ob sie nun Pulver und Blei erhoben haben. „In ganz Bozen ist kein Pfund zu erfragen", sagte mir der eine und fuhr noch mit seiner Rede, sich sehr geheimnisvoll und misstrauisch stellend, also fort: „Deß Wagen b'stellen und kuane Soldaten da sein; uns daher schicken um Pulver und Blei und kua Pfund kriegen, kimmt mier schier a bisl verdachti für. Beim Mondscheinwirt han i mit etle Innsbrucker Herrn, die si g'flüchtet haben, g'redt und die wöll'n vom Teimer und vom Hormayr gar nicht guets sprechen. Die sagen, die Österreicher hab'n schon all's verspielt, und es nutz' all's nicht mehr; ob die Herrn eppar recht hab'n, oder sein sie lei falsch und buarisch g'sint? Was muanen denn Sie, geist'l Herr?" — „Männer," sagte ich ihnen, „in eure Angelegenheiten mische ich mich nicht ein, weil ich sie nicht verstehe." — Darauf flüsterten sie sich noch eine Zeitlang wechselseitig ihre Bedenken ins Ohr. Endlich spannten sie in der tiefen Nacht noch an und fuhren nach Meran. Ich und der Wirt von Rabland sind hinten nachgefahren. Gleichzeitig kamen wir zu Meran um 4 Uhr morgens vor dem Gschör Wirtshause an. Daselbst fragte mich noch, ehe ich sie verließ, der Thoman Wellenzon, was ich denn meine, dass sie in „ihrer gegenwärtigen Lage tun sollten". „Männer," erwiderte ich ihnen, „ich habe euch schon gesagt, dass ich euere Sachen nicht verstehe; doch einen Rat will ich euch geben: wenn ihr vielleicht mit dem Landsturm nach Oberinntal vorrückt, gebt recht acht und sorgt dafür, dass euch durch schleunigste richtige Ordonnanzen die Berichte, wie es gleichzeitig von Trient herauf und über den Brenner her aussieht, nachgeschickt werden." Ich meinte nämlich, sie sollten ja auf der Hut sein, damit ihnen etwa nicht von irgendeiner Seite der Rückzug abgeschnitten werde. Doch sie schienen mich nicht verstanden zu haben und sagten nachstehende Worte: „Itz wiss'n mier schon, was mier tien, dem Teimer und dem Hormayr schicken mierg'schwind 4 vertraute Mander nach und geb'n sie ihm als ain Ehren- und Schutzwach; den Mandern geb'n mier den Auftrag, daß sie, wenn si die Herrlen eppar in d'Schweiz flüchten wollten, buade fassen; so lang mier die bei üns hab'n, ist uns nit angst, geht's guet, und b'haupten miers, ist's recht; geht's verspielt, so führ'n mier sie alle zwua den Buaren zu und sagen ihnen, daß die uns aufg'wiegelt und aufg'fordert haben." Freund, diese Äußerung machte mir beinahe das Blut in den Adern stocken. Ich schwieg, sie in meinem Innern verabscheuend, und ging davon. Die beiden Bauern aber begaben sich noch in der nämlichen Stunde nach Schlanders. Später habe ich erfahren, dass gleich Franz Telser, Franz Raich, Johann Wellenzon und Johann Gampper, alle 4 von Kortsch, dem Intendanten nachgeeilt und sich ihm als Schutzwache angetragen haben. Doch war es mir nie möglich, bestimmt zu erfahren, ob ihnen obiger Auftrag mitgegeben worden ist; wahrscheinlich wurde er bloß einem von ihnen erteilt. Soviel aber weiß ich gewiss, dass die erwähnten 4 Männer teils dem Herrn v. Hormayr, teils dem Herrn Teimer, so lange nicht alle Feindesgefahr vom Lande entfernt war, nie von der Seite wichen.

Herr Teimer begab sich von Nauders über Pfunds nach Prutz zum Herrn Zangerle und forderte ihn auf, die Waffen wieder zu ergreifen. Allein dieser gab seinen Worten und Vorspiegelungen kein Gehör mehr und erklärte ihm ganz bestimmt, dass er nichts mehr tun wolle, und brachte auch hierzu die triftigsten Gründe an. Im ganzen Inntal war anfangs alles schrecklich wider Teimer aufgebracht. Dessen ungeachtet begab er sich doch bis nach Imst hinab und ließ daselbst den Ausschuss zusammenberufen. Als er aber diesen zur Wiederergreifung der Waffen aufforderte, musste er allen Schimpf und Spott hören und, ohne seine Absichten erreicht zu haben, wieder nach Landeck zurückkehren. Daselbst hielt er sich einige Tage auf, bis die erste Vinschgauer Kompanie vom Gerichte Kastelbell ankam, welche teils die Obervinschgauer, teils die Oberinntaler elektrisierte. Die Maiser und Glurnser glaubten schon, Teimer hätte sich geflüchtet, und schickten daher 4 Deputierte bis Landeck, sich um die wahre Lage der Dinge zu erkundigen. Indessen aber kamen mehrere gemeine Leute von Imst nach Landeck zum Herrn Teimer und erklärten ihm, dass sie ihren Ausschuss nicht achten und Allsogleich alle zu den Waffen greifen und vorausrücken wollten. Nun bewaffnete sich auch das ganze Landgericht Landeck, und der Landsturm, der alle Ortschaften vor sich her mit der Sturmglocke und unter Androhung, dieselben zu plündern und zu verbrennen, aufforderte, rückte von dieser Seite wieder bis Zirl vor. In Imst hatten sich alle Herren und angesehenen Bürger unsichtbar gemacht. Während nun so Teimer im Vinschgau und Oberinntal den allgemeinen Aufstand bewirkte, und während sich von Innsbruck schon eine Unterwerfungsdeputation, bestehend in den Personen eines Grafen, eines Priesters, eines Kaufmannes und eines Wirtes nach München begaben, wurde auf der anderen Seite, nämlich vom Brenner her, wo sich schon ganze Massen von Landesverteidigern gesammelt hatten, der Angriff auf den 25. Mai festgesetzt.

Zur Unterstützung des unter Anführung des Kommandanten Andrä Hofer stehenden Landsturmes detachierte der Generalmajor v. Buol die Bataillone von Devaux, von Lusignan und von den Jägern, dann 4 dreipfündige und 2 sechspfündige Kanonen. Die Hauptkolonne unter Kommando des Herrn Oberstleutnant Baron Ertl von Lusignan-Infanterie dirigierte ihren Angriff vom Schönberge gegen den Berg Isel. Eine Seitenkolonne, die vom Herrn Oberstleutnant von Reisenfels von Devaux-Infanterie geführt wurde, operierte über die Ellenbogen gegen Hall. Gegen 9 Uhr rückte die erste Kolonne vom Schönberg und über die Höhe von Natters vor und zwang die Baiern, ihre Stellung auf dem Berg Isel in Eile zu verlassen. Auf der Höhe von Wiltau stellten sich die Baiern und machten ein äußerst heftiges Musketen- und Kanonenfeuer aus 4 Feuerschlünden. Dieses wurde durch das österreichische Geschütz und durch das treffende Stutzenfeuer der Tiroler und Jäger mit solchem Erfolge erwidert, dass die Baiern eine bedeutende Anzahl Tote und Blessierte zählten. Als am Abend ein Detachement gegen deren linke Flanke vorstieß, zogen sie sich gegen Innsbruck zurück und die Österreicher und der Landsturm besetzten die Höhen von Wiltau. Die zweite Kolonne setzte sich in der Gegend von Ambras fest. Eine Abteilung bedrohte die Brücken von Hall und Volders und eine andere blieb in Reserve zwischen Patsch und Lans. Von 11 Uhr vormittags bis gegen Abend wurde mit dem Kleingewehrfeuer und aus 2 Dreipfündern auf die Baiern geschossen, ohne dass der eine oder der andere Teil die gehabte Position verließ. Endlich mussten doch die Österreicher und Tiroler, aus welchem Grunde, weiß ich eigentlich nicht (öffentliche Blätter sagten: aus augenblicklich eingetretenem Mangel an Munition und des anhaltenden Regens wegen) den errungenen Vorteil aufgeben und die Stellung von Schönberg und Patsch wieder beziehen.

In dieser Stellung blieben die beiderseitigen Truppen bis auf den 29. Mai, an welchem Tage um ½ 9 Uhr früh der Angriff erneuert wurde. Die zwei österreichischen Hauptkolonnen nahmen ihre Richtung wie am 25., und jene, welche über die Ellenbogen debouchierte, löste sich gleichfalls wieder in 3 kleinere Abteilungen auf. Die Zahl der bewaffneten Tiroler belief sich auf gegen 18 000. 4) Während die österreichischen Truppen und der Landsturm auf der Seite von Wiltau mit den größten Anstrengungen fochten, kam auch der Major Teimer mit dem Oberinntaler Landsturm von Zirl über die Anhöhen von Hötting hergezogen. Nun entspann sich auf allen Punkten ein

4) Hirn (S. 472) veranschlagt die Zahl der Streitenden nur auf 1300 Mann Militär und 12 000 Bauern.

mörderisches Gefecht. Der öfters wiederholte Versuch der Baiern, auf mehreren Punkten durchzubrechen, wurde jedesmal zu ihrem großen Nachteil vereitelt. Sie mussten sich ganz in die Stadt zurückziehen und so endigte gegen 4 Uhr abends das Gefecht. Sehr viele Tiroler, besonders die von Meran und der dortigen Gegend und die Passeirer kämpften mit einer ausgezeichneten Entschlossenheit. Noch im Todeskampfe riefen sie ihren Kameraden und selbst ein Vater seinem Sohne zu: „Was schauest Du auf mich? — Nur zu, nur vorwärts, es gilt für Gott, den Kaiser und das Vaterland!“

Da sich nun die Baiern von allen Seiten bereits umringt, von Tausenden übermannt und zu schwach sahen, gegen die Überzahl des sich immer noch vermehrenden Landsturms mit Erfolg zu kämpfen (der Herzog von Danzig und General Wrede hatten, vom Kaiser Napoleon, wie ich mir sagen ließ, dazu beauftragt, schon am 23. seine Division über Salzburg zurück nach Österreich geführt), so zogen sie sich in der Nacht vom 29. auf den 30. in aller Stille von Innsbruck über Hall und Kufstein nach Rosenheim zurück. Der von den Baiern am 25. und 29., dann auf ihrem Rückzüge erlittene Verlust an Toten, Blessierten und Gefangenen war groß; aber auch der Landsturm zählte bedeutend viele Tote und Verwundete. Unter den ersteren bedauerte man den Grafen von Stachelburg von Meran, den letzten seines Namens und Stammes; diesen sollen, wie man allgemein sagte, österreichische Jäger umgebracht und ausgeraubt haben. Er beging früher die Unvorsichtigkeit, eine bedeutende Summe Geld sehen zu lassen. 5) Die Kastelruther, Rodenegger, Passeirer, Sarntaler, Petersberger und die Kompanien des Landgerichts Meran haben sich vorzüglich ausgezeichnet, aber auch bedeutend gelitten.

5) Hirn (S. 465 3) bezeichnet diese Darstellung als Gerücht, das in Baiern im Umlaufe war. — Nach einem Berichte Hormayrs (Innsbruck, F. B. 2073, Nr. 101 S. 6) fiel Graf Stachelburg, als er am 25. Mai den Sarntheinhof mit 24 Algundern stürmen wollte, von 4 Kartätschenkugeln durchbohrt.

Am 30. früh zogen die Österreicher und der Landsturm wieder siegreich in Innsbruck ein. Daselbst gerieten der Major Teimer und der Sandwirt Andrä Hofer in einen heftigen Wortwechsel und machten sich — worüber, habe ich nie eigentlich erfahren können — verschiedene Vorwürfe. Der Kommandant Hofer verfolgte mit seinen Leuten die Baiern noch bis ins tiefere Unterinntal und Major Teimer setzte ihnen mit größter Anstrengung bis Kufstein nach. Nun kam auch der Intendant Freiherr v. Hormayr, der, seine diplomatische Herrlichkeit keiner Gefahr auszusetzen, bisher im Oberinntale zurückblieb, und der Unterintendant v. Roschmann wieder nach Innsbruck. Der oben erwähnte Johann Alber wurde von der Intendantschaft nach Unterinntal abgeschickt, um den Sandwirt und Major Teimer nach Innsbruck zu berufen. Den ersteren traf er Im Unterinntale gerade bei einem Branntweinhandel begriffen an; dem Herrn Teimer begegnete er in Rattenberg. Da indessen auch fast alle Grenzpässe des nördlichen Tirols durch baierische Streifpartien, zusammengesetzt aus den Depots der baierischen Regimenter, aus Förstern, Jägern, Bürgergarden unter Anführung des Obersten und Kommandeurs Grafen v. Arco, lebhaft alarmiert, einige Fortifikationen zerstört und die nämlichen Mordbrennereien und Grausamkeiten wie im Unterinntale verübt wurden, so wurde in Innsbruck beschlossen, nicht nur allein alle diese Pässe von den Baiern gänzlich zu reinigen, sondern auch weiter ins Baiern hinaus vorzurücken. Dazu wurde nun vorzüglich der erst nachrückende Landsturm von Obervinschgau und vom entfernteren Oberinntale und besonders die sogenannte weizene Kompanie 6) von Schlanders verwendet.

6) Sie wurde so bezeichnet, weil sie nur aus wohlhabenderen Leuten gebildet war.

Schlanders ließ diesmal den Landsturm nicht ausrücken, sondern bildete nur eine ausgesuchte Kompanie von 166 Köpfen aus den wohlstehendsten und angesehensten Familienvätern und Söhnen, die alle mit Scheibenbüchsen und Stutzen bewaffnet sein mussten. Doch ehvor machten sie auf Wagen jenen unverzeihlichen Banditenzug nach Mals, um den Herrn Landrichter Rungger von Nauders, den Herrn Schguanin v. Glums und den Herrn Gerichtskassierer Zini, weil sie beim Landsturmaufgebote (in der Stunde des heiligen Kampfes) etwas bedenkliche Miene und zweifelhafte Äußerungen gemacht haben sollen, zu arretieren und nach Schlanders zu liefern. Schreckbar wurden diese Herren misshandelt, unter tausend Drohungen und Schimpfworten auf Wagen geworfen und so gleichsam im Triumphe nach Schlanders geführt. Auch der Anwalt von Tartsch, der alte Herr Hellrigl, musste sich's gefallen lassen, weil er, wie gewöhnlich, das Maul zu weit aufriss. Er wurde über die Treppen herab gerissen, um samt seinem Sohne auf die Wagen geworfen zu werden und den Triumphzug zu verherrlichen. Der Lärm soll in Mals schauerlich gewesen sein. Am schlimmsten kamen dabei der Herr Landrichter Rungger und Herr Zini fort. Ersterer wurde bis Meran geliefert und daselbst noch lange von den Bauern herumgeschleppt, und Herr Zini hatte sich gerade den Tag vorher mit einem hübschen Mädchen verheiratet. Herr Landrichter Schguanin und die beiden Herren Hellrigl mussten auf Befehl des Freiherrn v. Hormayr wieder freigelassen werden.

Gleich nach diesem verhassten Zuge nach Mals rückte die besagte Kompanie unter dem Oberkommando des geschäftigen Priesters Peter Alber und unter der Hauptmannschaft des riesengroßen Johann Spillers nach Oberinntal und trieb alles, was nicht schon ausgerückt war, mit Ungestüm vor sich her. Überall, wo sie durchmarschiert, soll sie ihrer rüstigen Mannschaft und der ausgesuchten Gewehre wegen Aufsehen erregt, aber ihres innern Wertes wegen in ihrer Einquartierung und Verpflegung auch sehr viel gekostet haben: denn denen Herrchen und Wirten von Schlanders wollte die grobe Kost der armen Inntaler nicht schmecken. Daher waren sie auch im Dienste nicht gar zu pünktlich und trieben ihre Korporale so herum, dass der Korporal Bartlmä Schmid sich schon in Imst äußerte, er wollte lieber bei einer Kompanie Kroaten Hauptmann, als bei seiner untergeordneten Korporalschaft Vorstand sein. Die Heldentaten, welche diese meine Herren Landsleute in Partenkirchen und Murnau und bis Weilheim hinab ausübten, werde ich Ihnen im nächsten Briefe erzählen.

Während die Baiern aus dem nördlichen Tirol vertrieben wurden, hatte der Oberstleutnant Graf Leiningen im südlichen, bei und in Trient schwere Mühe, sich mit seiner Handvoll Krieger zu halten, und der Feidmarschalleutnanl Marquis de Chasteler rückte mit seiner zusammengerafften Mannschaft durchs Pustertal ins Kärnten hinab und streifte den Franzosen im Rücken bis gegen Villach, im steten Bestreben, sich ein Loch zu suchen, durch welches er sich aus den ihm nun verhassten Gebirgen hinauswinden und mit dem Erzherzog Johann vereinigen möchte: was ihm auch nach allerhand Wendungen und durch verschiedene Umwege und Gefechte unter Raab in Ungarn gelungen ist. Die Ereignisse der folgenden Monate bis zum Waffenstillstand und bis zur gänzlichen Räumung und Abtretung Tirols an die Baiern und Franzosen werde ich Ihnen nächstens berichten.



Quelle: Der Tiroler Volksaufstand des Jahres 1809, Erinnerungen des Priesters Josef Daney, Bearbeitet von Josef Steiner Innsbruck, Hamburg 1909

Rechtschreibung behutsam angepasst.
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